Die Stunde der Väter

Die Frauenbewegung, die deutsche Vereinigung, die Elterngeld-Gesetzgebung – das alles hat die Vaterrolle verändert, aber im Schneckentempo. Bringt die Pandemie den Turbo? Mit dieser Frage habe ich mich für die Mai-Ausgabe 21 des ELTERN-Magazins beschäftigt. Hier eine gekürzte Fassung.

Wann genau spürt ein Mann, was Vatersein bedeutet: Wenn er zum ersten Mal sein Kind im Arm hält? Das erste Familienselfie in die Welt hinaus schickt? Bei Ricardo Liesig, 39, passierte es schon ein paar Minuten vor der Geburt seines ersten Babys, im Kreißsaal. „Der Oberarzt sagte zu mir: Wenn ich Ihnen etwas raten darf, bleiben Sie dran an Ihrem Kind. Denn wenn der Faden einmal ab ist, ist er ab.“ Zehn Jahre ist das her, aber die Worte von Mann zu Mann, die hat er nie vergessen: „Meine Kinder stehen in meinem Leben immer an erster Stelle.“

Vom „Neuen Vater“ war schon vor ein paar Jahrzehnten die Rede, als die ersten sich nicht mehr damit zufriedengaben, ihren Neugeborenen hinter der Glasscheibe der Säuglingsstation zuzuwinken oder beim Einschulungsfoto einmal kurz durchs Bild zu huschen. Aber häufig war der Wunsch Vater des Gedankens, dann kam nicht viel nach. „Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“ nannte das der Soziologe Ulrich Beck in den Achtzigern. Was sich seither bewegt hat, zeigt eindrücklich eine Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des Bundesfamilienministeriums von 2019: 84 Prozent aller Eltern minderjähriger Kinder finden, ein Vater solle so viel Zeit wie möglich mit seinem Nachwuchs verbringen. Nur 30 Prozent sind der Meinung, das sei auch schon in ihrer eigenen Kindheit erstrebenswert gewesen. Und junge Väter halten Wort: Während vor Einführung des Elterngeldes 2007 nur vier Prozent in Elternzeit gingen, nimmt heute etwa jeder zweite eine Babypause. 

Selbst wenn es meist nicht mehr sind als die zwei „Partnermonate“, hat das tiefgreifende Folgen. Väter sind von Anfang an selbstbewusster in ihrer Rolle, und die Kinder erleben: Wenn ich mit dem Laufrad hingefallen bin, Krach mit meiner Kitafreundin habe oder einen Basteltipp brauche, ist Papa nicht minder zuständig als Mama. Harald Rost, Soziologe und Väterforscher am Staatsinstitut für Familienforschung der Universität Bamberg, sagt: „Die gesellschaftliche Entwicklung braucht viel Zeit. Aber sie geht stetig in dieselbe Richtung.“ Antreiber dafür, sagt Rost, waren ursprünglich vor allem die Mütter: Die erste Generation gut ausgebildeter Frauen in den Siebzigern und Achtzigern, die von ihren Partnern Engagement und Unterstützung forderten. Die deutsche Vereinigung tat ihren Teil dazu, weil in der DDR viel mehr Mütter erwerbstätig waren als in der alten Bundesrepublik. Der gesellschaftliche Vorsprung zeichnet sich noch heute in der Statistik ab: Vergleicht man, wo Väter am häufigsten und am längsten Elterngeld beziehen, liegt die 100.000-Einwohner-Stadt Jena regelmäßig vor westdeutschen Metropolen wie Hamburg und München. 

Eine gute Nachricht mit einem kleinen Schönheitsfehler. Denn oft hält die innere Überzeugung auf Dauer nicht der Realität stand. Etwa, weil Väter im Durchschnitt vor dem ersten Kind besser verdienen – eine Folge des üblichen Altersunterschiedes und des Gender Pay Gaps – , weshalb sich längere Job-Auszeiten bei ihnen stärker aufs Familieneinkommen durchschlagen. Zwar steigt die Anzahl der männlichen Teilzeitbeschäftigten mit Kindern, aber auf niedrigem Niveau, in den letzten Jahren auf etwa sieben Prozent. Und als uns die Pandemie überrollte, mit Lockdown und Schulschließungen, fürchteten vor allem weibliche Wissenschaftlerinnen: Es wird die Gleichberechtigung um Jahrzehnte zurückwerfen, weil Mütter das ausbaden!

Ein Jahr später zeigt sich ein Bild, das nicht so schwarzweiß ist wie befürchtet. Martin Bujard, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, fasst zusammen: „Unter dem Strich hat die Coronakrise in manchen Gruppen zu mehr Gleichberechtigung geführt.“ Zwar tragen Mütter messbar die Hauptlast, aber die Pandemie ist teils auch eine Chance für die Beziehung zwischen Vätern und Kindern. Details sieht man, wenn man die Daten nach Berufsgruppen aufschlüsselt. Am allerschwersten haben es solche, in denen der Vater einen „systemrelevanten“ Beruf hat, etwa als Intensivpfleger oder Supermarktleiter, die Mutter aber nicht. Denn das führt eher zu einer noch traditionelleren Rollenverteilung. Anders im umgekehrten Fall: „Wenn die Mutter außer Haus arbeitet, etwa als Ärztin oder im Labor, sind Väter viel mehr gefragt“, so Bujard. Auch Phasen von Kurzarbeit entpuppten sich für viele als Segen auf den zweiten Blick: Dort, wo Männer wenig oder gar nicht arbeiteten, dabei aber einen Großteil ihres Gehalts bezogen, übernahmen sie 41 Prozent der Erziehungs- und Haushaltsarbeit. Rekord! Und während sich der Anteil regelmäßiger Homeoffice-Arbeiter und -arbeiterinnen im ersten Lockdown 2020 von fünf auf 25 Prozent erhöht hat, ergab sich neben allem Stress oft auch mehr Verständnis: „Arbeiten beide zu Hause, kann man nicht nur Zuständigkeiten gerechter verteilen, sondern auch besser würdigen, was der jeweils andere leistet“, bilanziert Bujard. 

Besonders engagiert in der Krise waren übrigens Väter auf mittlerem Bildungsniveau: Sie haben die Akademiker nicht nur eingeholt, sondern überholt. Vor der Pandemiezeit brachten es die Studierten auf dreieinhalb Stunden Familienarbeit täglich, seither sind es vier – sie überlassen ihren Partnerinnen oft die Mehrarbeit. Dagegen bringen es Handwerker, Facharbeiter oder Verkäufer jetzt auf täglich sechs Stunden – vorher waren es zwei Stunden und fünfzehn Minuten. 

Doch was wird von diesen Verschiebungen bleiben, wenn Corona geht? Bujard ist zuversichtlich: „Erfahrungen prägen Entscheidungen!“ Es macht langfristig einen Unterschied, wenn Väter einmal einen Fuß in der Tür haben, aber auch, wenn Paare in die Traditionalisierungsfalle tappen. Außerdem, glaubt der Experte, haben die Krisenerfahrungen Kollegen und Chefs auch ein anderes Bild vermittelt, vor allem in Homeoffice-Jobs: „Wenn man täglich im Videocall sieht, dass Kinder durchs Bild laufen oder ein Spielzeug herumliegt, macht es die Arbeitskultur bestenfalls menschlicher, verständnisvoller. Einfach, weil man sich gegenseitig in einer anderen Rolle wahrnimmt.“

Die Steilvorlage ist da, man muss sie nur verwandeln? Skeptischer sieht das Jutta Rump, Betriebswirtschafts-Professorin und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen: „Corona hat viele Entwicklungen enorm beschleunigt, aber nicht nur zum Guten. Auf der Habenseite: Mobiles Arbeiten ist zu einer akzeptierten Variante geworden, Kommunikation funktioniert zunehmend digital, virtuell, hybrid. Auf der anderen Seite haben auch wieder andere Führungsfiguren Konjunktur, etwa der hierarchisch denkende, meist männliche Krisenmanager. Und weiche Themen wie Vereinbarkeit könnten hinten runterfallen – vor allem, wenn Unternehmen sparen müssen.“ Klar: Ist die eigene Firma coronabedingt in Schräglage, dann ist man froh, wenn man seinen Job noch hat, und äußert lieber keine Sonderwünsche. Und dann sind da auch noch jene Eltern, die kaum von den Veränderungen profitieren: In 43 Prozent aller Paarfamilien kann keiner von beiden Eltern mobil arbeiten. Kita-Erzieherin und LKW-Fahrer, Chefärztin und Buchhändler. Wie also schaffen wir die Grundlage für ein Lebens- und Arbeitsmodell, in dem mehr Wahlfreiheit möglich ist und mehr Zeit für Väter und Kinder – zum Toben, ins Bett bringen, Inlineskates fahren, Playstation-Duell?

Jutta Rump glaubt: Veränderung geschieht nur, wenn sie von mehreren Seiten angeschoben wird. Zum einen, wenn der Staat Gleichberechtigung auch finanziell attraktiv macht, etwa durch das gemeinsame Elterngeld Plus. So wie es bereits passiert. Zum anderen psychologisch, durch die richtigen Vorbilder. Ältere Kollegen, die Verständnis äußern, wenn man lieber zur Schulaufführung der Tochter geht als auf ein Feierabendbier; männliche Chefs, die ein paar Monate Elternzeit nehmen, sich Führungsjobs teilen. Jüngstes Beispiel: Rubin Ritter, der 2020 öffentlichkeitswirksam seinen Job als Finanzchef beim Online-Riesen Zalando an den Nagel hängte, damit seine Frau nach der Geburt des zweiten Kindes wieder in ihrem Beruf als Richterin arbeiten kann. Klar, dass sich eine Familie in dieser Preisklasse keine Sorgen machen muss, wie sie mit einem Gehalt die Miete für die Dreizimmerwohnung stemmen soll – als Rollenmodell taugen diese Geschichten trotzdem, findet Rump: „Je mehr schon Kinder bei ihren Eltern gleichberechtigte Lebens- und Arbeitsmodelle sehen, desto selbstverständlicher werden sie später selbst übernehmen.“ Und das ist vielleicht eines der schönsten Geschenke, die Väter machen können. Ihren Töchtern wie ihren Söhnen.

INTERVIEW

„Starke Väter brauchen auch starke Mütter“

Volker Baisch ist Geschäftsführer der „Väter gGmbH“, die seit zehn Jahren Arbeitgeber zum Thema „väterfreundliche Personalpolitik“ berät. Er sagt: Veränderung ist auch eine Frage des Selbstverständnisses – und da sind Frauen fast ebenso gefragt wie Männer

ELTERN FAMILY: Durch Ihre Tätigkeit kennen Sie ganz unterschiedliche Arbeitsfelder, vom Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern. Wo hat sich durch die Pandemie am meisten für arbeitende Väter verändert, und eher zum Guten oder eher zum Schlechten?

Volker Baisch: Natürlich haben große Konzerne oft andere Möglichkeiten zur Arbeitsumgestaltung als Mittelständler. Aber das Thema Vereinbarkeit, sowohl für Männer als auch für Frauen, hat an Fahrt aufgenommen und wird auch nicht verschwinden. Denn die Firmen sind teils besser durch die Krise gekommen als befürchtet und stehen vor der Herausforderung, Beschäftigte zu halten oder sogar neu zu gewinnen.

Das klingt nach einer Chance für Elternpaare – aber man hört in der Pandemie auch von viel Frust, Streit, Trennungen…..

Corona ist ein Lackmustest fürs eigene Rollenverständnis. Nach meiner Beobachtung sind am besten solche Paare durch die Krise gekommen, die sich schon davor bewusst um Gerechtigkeit bemüht haben. Probleme hatten eher die, die einfach hineingeschlittert sind und all diese Auseinandersetzungen nachholen mussten. Dabei kann es eine Riesenchance sein, sich zusammenzusetzen und zu reflektieren: Was lief gut, was wollen wir dauerhaft ändern? Zwölf Monate und länger, das ist ja eine Zeitspanne, in der sich neue Muster gründlich üben lassen.

Praktisch gefragt: Tun sich Männer im Homeoffice leichter – einfach, weil sie mit professionellem Tunnelblick den Wäscheberg übersehen?

Das ist sicherlich so, denn wer üblicherweise acht bis zehn Stunden nicht zu Hause ist, nimmt diese Haltung auch mit an den Heimarbeitsplatz. Der so genannte Mental Load bleibt häufig an den Müttern hängen. Umgekehrt haben viele Väter zum ersten Mal bewusst wahrgenommen: Ah, das ist auch alles noch zu tun! Dabei ist es nicht sinnvoll, wenn sich beide für alles zuständig fühlen, besser ist es, klar zu verteilen: Wer macht den Wocheneinkauf, wer die Wäsche, wer bringt die Kinder in die Kita.

Also private Verhandlungssache?

Nicht nur! Die Arbeitgeber sind gefragt, in dem sie mehr Flexibilität schaffen, zum Beispiel anordnen, dass montags und freitags nach Möglichkeit keine wichtigen Konferenzen stattfinden, oder glaubhaft vermitteln: Die Angst vor einem Karriereknick ist unbegründet, wenn Männer sich familiär mehr engagieren! Das sollten die Angestellten auch aktiv einfordern. Zur Wahrheit gehört aber ebenso: Wo die Kultur im Unternehmen dem widerspricht, haben es Einzelkämpfer schwer.

Und was ist mit Jobs, die Präsenz erfordern – im Gesundheitswesen, im Handwerk, im Handel? 

Man kann auch ein aktiver Vater sein, wenn Homeoffice keine Option ist. Das Elternzeit Plus-Modell ist eine gute Basis, um zum Beispiel für ein halbes Jahr auf eine Vier-Tage-Woche zu reduzieren, wenn Kinder klein sind. Und wir sehen immer wieder, dass auch Branchen mit Schichtbetrieb auf die Bedürfnisse von Eltern Rücksicht nehmen können, etwa bei der Polizei.

Als Mutter würde ich gern noch wissen: Wenn wir uns als Frauen aktivere Väter wünschen, was können wir dazu tun?

Erstens: So früh wie möglich das Thema Aufgabenverteilung und Lebensplanung aufs Tapet bringen, am besten schon in der ersten Schwangerschaft. Denn nur so haben beide Partner auch die Chance, die Elternrolle einzuüben. Zweitens: Keine doppelten Botschaften senden. Denn eine Mutter, die sich völlig zu recht einen aktiven Vater wünscht, muss ihrerseits auch bereit sein, den gegenteiligen Part zu übernehmen, also engagiert im Beruf zu sein und nicht den Anspruch haben, einfach versorgt zu werden. Nur so wird ein Schuh daraus.