Kollegiales Coaching: Party mit Mehrwert

Vor fast zehn Jahren war ich eher zufällig als absichtlich Mitgründerin einer Journalistinnengruppe für kollegiales Coaching, von der seither alle Teilnehmerinnen in unterschiedlicher Form profitiert haben. Kostet nichts (außer Zeit), bringt viel (auch neue Aufträge), und passt zu fast allen Berufsgruppen. Der Text unten erschien erstmals 2016 auf dem 40-something-Blog (übrigens auch eine gemeinsame Gründung mit einer der Teilnehmerinnen), und ich möchte ihn aus aktuellem Anlass hier nochmal auf meine Seite stellen, weil mir das Thema Networking gerade sehr am Herz liegt. Die Geschlechterbezeichnungen darin sind nicht gegendert – auch daran sieht man, dass er ein paar Jahre auf dem Buckel hat – , aber die grundlegenden Tipps sind noch immer richtig…

Das Leben ist oft sehr prosaisch. Die besten Ideen für Texte habe ich meistens beim Putzen, die inspirierendsten Begegnungen im Einkaufszentrum. So auch an jenem Tag im Spätsommer vor über zwei Jahren, als ich mit meinen vollgepackten Tüten meiner Journalistenkollegin Inka begegnete, die ebenfalls schwer zu schleppen hatte. Wir stellten unsere Tüten ab, kamen ins Gespräch und fingen natürlich sofort an zu jammern. Das, was fast alle Journalisten seit Jahren tun. Auch die, die gut im Geschäft sind. Medienkrise, Schrumpfredaktionen, miese Honorare. Was tun? Umschulen wollten wir nicht, auswandern genau so wenig (und wohin auch?), reich heiraten fiel aus (verheiratet sind wir schon, nicht reich, aber glücklich). Coaching, das wär’s. Kostet aber eine Stange Geld, wenn man keinen Arbeitgeber hat, der das bezahlt. Aber, Moment mal – konnten wir das nicht auch ohne teuer bezahlte Anleitung? Einfach eine Gruppe von Gleichgesinnten zusammentrommeln und uns gegenseitig auf die Sprünge helfen? Schließlich ist es manchmal einfacher, Weitblick für ein anderes Leben zu entwickeln, als unsere eigene Situation reflektieren.

Eine bunte Truppe, die sich gegenseitig unterstützt

Kurz danach trafen wir uns zum ersten Mal: acht freie Journalistinnen zwischen Mitte 30 und Mitte 50, mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten, unterschiedlichen Lebenssituationen, unterschiedlichen Zielen, aber eine Gemeinsamkeit: Liebe zu unserem Job und dem Willen, neue Wege zu beschreiten. Aus diesem Einmal-Meeting ist mittlerweile eine regelmäßige Veranstaltung geworden: Etwa zwei Mal im Jahr treffen wir uns für ein kollegiales Coaching, überprüfen alte Zielsetzungen, korrigieren den Kurs, entwickeln gemeinsame Ideen. Esther und ich haben dort beide schon unsere Blog-Idee zur Diskussion gestellt, für andere Kolleginnen haben wir gemeinsam Kontakte geknüpft oder das Profil für ihre Website geschärft. Zum Glück haben wir mit Anne Otto eine Kollegin in unserer Runde, die nicht nur wunderbare Musik macht und hervorragende Texte schreibt, sondern zudem als Psychologin noch eine Coaching-Ausbildung hat – ihre Rolle ist jedoch eher die einer zurückhaltenden Moderatorin, die zu Anfang eines Coaching-Tages eine Aufgabe stellt, die uns hilft, uns klarer zu werden. Zum Beispiel so: Denkt darüber nach, was eure größten Erfolge mit 15, mit 20, mit 25 und mit 30 waren – gibt es da ein Muster in dem, was euch besonders stolz macht? Oder: zeichnet eine Zufriedenheitskurve über die letzten zwei Jahre, und findet dann in großer Runde gemeinsam heraus, wie ihr noch mehr an der Glücksschraube drehen könnt.

Kollegiales Coaching: funktioniert sogar ohne Profi

Eine Idee zum Nachmachen. Denn was wir für unseren Berufsbereich tun, funktioniert ja genau so gut für andere Branchen: ob freiberuflich oder fest angestellt, ob Reisebranche, im sozialen Bereich, in technischen Jobs, ob hochakademisch oder handfest-pragmatisch – eine solche Gruppe hilft ungemein, die eigene berufliche Situation einzuschätzen, neue Ideen zu entwickeln, sich über Ziele und Richtungen klarzuwerden, und auch das Nachdenken über die konkreten Jobfragen anderer rückt manchmal im eigenen Kopf etwas zurecht. Natürlich ist es hilfreich, wenn eine Teilnehmerin mit Coaching-Background dabei ist, aber unbedingt notwendig ist das nicht – vorausgesetzt, man beachtet ein paar Regeln.

Die Gruppe: Wir sind acht – das ist eine hervorragende Zahl. Aus meiner Erfahrung würde ich sagen: Nicht weniger als fünf, nicht mehr als zehn Mitglieder. Werden es zu wenige, bekommt die kollektive Phantasie nicht genügend Futter, werden es zu viele, kommt der Einzelne nicht genügend Raum. Es ist von Vorteil, wenn die Mitglieder alle aus der gleichen Branche kommen, einfach, weil ihnen Arbeitsabläufe, Hierarchien, typische Situationen vertraut sind – Branchenfremde haben zwar manchmal einen frischen Blick und originelle Ideen, die sind aber selten wirklich brauchbar. Ganz wichtig: Die Gruppe nicht jedes Mal neu zusammensetzen, wenn man wirkliche Kontinuität haben möchte. Es ist sinnvoll, wenn sich alle Beteiligten nach einer Weile gut genug kennen, so dass man sich lange Erklärungen und Vorreden sparen kann. Ein weiteres Thema, das man vorab klären sollte: reine Frauengruppe oder gemischt? Ich finde den Austausch unter Frauen angenehm, einfach, weil viele von uns ähnliche Prioritäten setzen (etwa: den Ausgleich zwischen Familie und Job), weil keine von uns Scheu hat, auch private Themen mit einzubringen, und weil wir nicht in einen Konkurrenz-Modus geraten. Der Austausch in einer gemischten Gruppe hätte vermutlich eine etwas andere Chemie, mit Vor- und Nachteilen.

Die Moderation: Klar, nicht jeder kennt eine ausgebildete Trainerin, die ihr psychologisches Knowhow einbringt. Muss aber auch nicht sein: Wichtig ist vor allem, dass eine Person in der Gruppe auf Redezeiten achtet, sich eine Struktur überlegt, und ein bisschen genauer zuhört: Bei welchem Thema geraten Teilnehmer in Begeisterung, wo wird ihre Sprache lebendig, wo wird’s emotional? Man kann den Staffelstab auch jedes Mal weitergeben, so dass jeweils eine andere sich für das Gelingen des Tages besonders verantwortlich fühlt.

Der Ort: Ich habe mal einen ganz wunderbaren, branchenübergreifenden Frauen-Coachingtag mit der Kommunikationstrainerin Susanne Westphal erlebt, der in einem Spa stattfand. Da saßen wir uns dann nackt in der Sauna und im Außen-Whirpool gegenüber und besprachen Geschäftsideen und Jahresziele. Kann man durchaus machen (allerdings kann es dann auch passieren, dass andere Saunagäste sich über die Schnatter-Truppe beschweren, nicht ganz zu Unrecht). Ich selbst finde eine neutrale Büro-Umgebung allerdings besser. Klar darf der Spaß-Teil nicht zu kurz kommen: Nach Abschluss ziehen wir abends immer noch in die nächste Bar um (auch das könnte man zur Abwechslung mal in die Sauna verlegen!)

Die Häufigkeit: Mit zwei Mal jährlich fahren wir gut. Noch häufiger ergibt wenig Sinn, in der Regel ändern sich berufliche Situationen und Fragestellungen ja nicht im Monatstakt – noch seltener wäre zu wenig. Ein Treffen in höherer Frequenz kann für manche Berufsgruppen aber sicher auch Sinn ergeben, z.B. wenn alle gemeinsam eine neue Aus- oder Weiterbildung machen, bei der viele Weichen neu gestellt werden.

Die Tagesordnung und das Thema: Ganz wichtiger Punkt. Beim allerersten Treffen geht es sicherlich erstmal um ein gegenseitiges Kennenlernen und eine Bestandsaufnahme: Wer bin ich, welchen beruflichen Weg habe ich hinter mir, wo will ich hin, was ist meine aktuelle Fragestellung? Aber bei den weiteren Terminen ist es sinnvoll, sich einen Schwerpunkt zu setzen. Wir als freiberufliche Einzelkämpferinnen hatten zum Beispiel ein tolles Treffen, bei dem es ausschließlich um Selbstmarketing ging, für eine andere Gruppe mit Festangestellten könnte es z.B. um Strategien in Gehaltsgesprächen oder Kommunikation im Arbeitsteam gehen. Auch eine Tagesordnung sollte man sich unbedingt setzen: Kurze Begrüßungsrunde vorab, dann die Focussierung auf den Schwerpunkt. Mir persönlich hilft es sehr, wenn unsere Moderatorin Anne uns etwas zeichnen lässt, beim letzten Mal z.B. zwei Stimmungskurven über den Verlauf der letzten Jahre: Wann ging es mir privat gut, wann nicht, und wie war das beruflich? Gibt es ein erkennbares Muster dabei? Welche Erfolge haben mich gekickt, welche Situationen bedrückt? Es strukturiert die eigenen Gedanken, wenn man anschließend reihum so ein Chart vorzeigt, erklärt und sich Feedback geben lässt. Ganz wichtig: Pausen einplanen, darauf achten, dass jeder ähnlich viel Rede- und Diskussionszeit bekommt, und die Reihenfolge von Treffen zu Treffen ändern. Erfahrungsgemäß ist die Runde einfach bei den ersten Teilnehmern frischer, bei den letzten schon etwas ermattet.

Vertraulichkeit: Versteht sich fast von selbst, ist aber trotzdem wichtig, sich vorher zuzusichern: Nichts, was in dieser Runde besprochen wird, verlässt den Raum – vor allem natürlich, wenn es um Dritte geht, also unangenehme Chefs, intrigante Kollegen, Jobwechsel-Gedankenspiele, die der Vorgesetzte nicht erfahren sollte, natürlich auch Zahlen aller Art (Umsätze, Verkäufe, Gehalt, Honorare…)

Zielsetzung: Je klarer die Zielsetzung des einzelnen, desto besser lässt sie sich in der Gruppe überprüfen. Was will ich erreichen, bis wann und wie – diese Fragen sind schon mal eine gute Maßgabe, und die Gruppe kann helfen, sich selbst darüber klar zu werden. Aber man muss auch nicht aus jedem Coachingtag geistige Bundesjugendspiele machen, nach dem Motto: Wie schaffe ich’s höher, schneller, weiter? Wir haben zum Beispiel eine Frau in der Gruppe, die eigentlich völlig zufrieden ist mit ihrer Work-Life-Family-Balance und ihren Aufträgen, was immer sehr gute Stimmung in der Gesprächsrunde macht – die fragt sich einfach nur, wie sie den guten Status Quo erhalten kann. Auch dazu kann man Ideen sammeln. Ebenfalls wichtig: zwar sind private Themen oft bei uns auf der Tagesordnung, einfach, weil sie eng mit dem Berufsleben verknüpft sind – ich kann und will z.B. nicht Vollzeit und ganztags arbeiten, weil ich spüre, dass meine Kinder die freien Nachmittage zu Hause brauchen – , aber man sollte sich nicht in privaten Anekdoten verzetteln. Dazu gibt’s ja abends die Belohnungs-Bar. Oder die Sauna.

Relotius und ich

Die Affäre um gefälschte Reportagen beim „Spiegel“ treibt mich um. Ich bin wütend, weil ein solches Verhalten das ohnehin schwer angeknackste Vertrauen in klassische Medien weiter untergräbt, ich bin aber auch aus ganz persönlichen Gründen wütend. Um es im „Spiegel“-Pathos zu sagen: Ich fühle mich in meiner Berufsehre gekränkt, und das gilt auch für viele meiner KollegInnen. Heruntergezogen von einem, der mit hohem Einsatz ein schmutziges Spiel gespielt hat. Ich fürchte mich vor steigendem Misstrauen, vor einer weiteren Entfremdung zwischen Journalisten und Lesern. Was ich dagegentun kann? Genau dasselbe, das der „Spiegel“ tut, nur mit meinen eigenen Mitteln: Ich habe aufgeschrieben, wie ich arbeite. Wie ich Protagonisten suche, wie mühsam das sein kann und wie enorm beglückend. Auch wenn mein Maßstab, meine Ansprüche andere sind. Warum es mich ärgert, wenn man meinen Auftraggebern, Frauen- und Familienmagazinen, so oft Unredlichkeit vorwirft. Und wo ich den entthronten Kollegen sogar zähneknirschend verstehen kann.

1.) Der „Geile-Geschichte“-Reflex: Wo ich ähnlich ticke wie Claas Relotius

Jede Journalistin, jeder Journalist braucht ein Quäntchen Reporterglück. Auch ich hatte und habe in meinem Berufsleben immer wieder diese Momente, in denen ich denke: Das ist jetzt zu schön, zu perfekt oder schlicht zu passend, um wahr zu sein. Solche Momente gibt es immer und überall. Sehr nah: Als mir eine Mutter in der Kita-Garderobe von ihrer Hebamme erzählte, die Hunderte von Geburten begleitet hat und gerade mit 42 zum ersten Mal ein Baby erwartet. Sehr fern: Als ich in einem Klamottenladen in einem südindischen Dorf von einer Frau mit blonden Rastalocken und norddeutschem Slang begrüßt wurde, die es der Liebe wegen dort hin verschlagen hatte. Als ich im spanischen Cadaqués den alten Schreiner kennen lernte, der Salvador Dalí ein Bett gebaut hat. Oder im digitalen Raum: als ich für ein Themenheft „Sport“ einfach mal googelte,  ob ich für ein Porträt eine Sporttrainerin mit Behinderung finde und auf der Seite einer Zumba-Lehrerin mit Querschnittslähmung landete. Das sind Geschichten, die berühren, neugierig machen, die gelesen und geschrieben werden wollen.

Manchmal entdeckt man die Nadel im Heuhaufen nach langer Fahndung, und manchmal findet man etwas im Heu, das man gar nicht gesucht hat. So ähnlich höre ich es von vielen Kolleginnen, die ein ähnliches Themenfeld beackern, wir sind in der Regel kollegial und helfen uns häufig gegenseitig mit Kontakten und Tipps aus. Zugegeben: Das ist nicht die Liga „Ich finde den einzigen Abtreibungsarzt von Missouri/ den Jungen, der den Syrienkrieg ausgelöst hat/ den größten Hillbilly im Mittleren Westen.“ Aber die bescheidenen Beispiele aus meinem Berufsumfeld haben einen gewissen Charme: Sie sind nicht erfunden. Anders als eine ganze Reihe von besonders spektakulären Protagonisten in den Texten von Claas Relotius.

 Menschen interessieren sich für Menschen – dieser Grundsatz gilt immer und überall. Geschichten, Texte, Themen werden anschaulicher, wenn es jemanden gibt, der sie verkörpert. Manchmal ist die Biographie allein auch schon Thema genug, steht für etwas Größeres. Seit 25 Jahren arbeite ich als Journalistin, und ich habe es immer als einen besonders schönen, herausfordernden, aber manchmal auch mühseligen Teil meiner Arbeit gesehen, solche Menschen zu finden. Als ich in den Neunzigern anfing, lief das noch per Telefonkette – kennst du jemanden, der jemanden kennt, der…? – , später über Mails („gerne weiterleiten“), seit einigen Jahren hilft ein gut gepflegtes Social Media-Netzwerk bei der Kontaktanbahnung. Und noch immer gibt es die gute alte Reporter-Methode: rausgehen, mit Leuten ins Gespräch kommen, Vertrauen gewinnen. Manchmal nicht locker lassen. Manchmal auch loslassen.

Lange nicht jeder Mensch, der eine interessante Geschichte zu erzählen hat, möchte sie öffentlich machen, völlig berechtigt. Und es hat auch Themen gegeben, die mich an den Rand der Verzweiflung gebracht haben. Vor allem, wenn die Vorgabe der Redaktion ist, dass die Interviewpartner mit Namen genannt werden und für Fotos zur Verfügung stehen müssen. Oft war ich dabei verblüfft, wie viele Menschen davon ausgehen, dass gerade in Frauen- und Familienmagazinen ein Großteil dieser Geschichten „fake“ sei – „Die denkt ihr euch doch aus!“ Nein, tun wir nicht, jedenfalls weder ich noch die Kollegen und Kolleginnen, mit denen ich zusammenarbeite, bei „Brigitte“ und „Barbara“, „Eltern“, „Myself“ und wie sie alle heißen.

Um mit einem weiteren Vorurteil aufzuräumen: Es gibt – jedenfalls in meinem Arbeitsumfeld – keine Gagen dafür, wenn sich jemand interviewen und/oder fotografieren lässt. Allenfalls eine kleine Aufwandsentschädigung, wenn Menschen beispielsweise von weiter weg extra für eine Fotoproduktion im Studio anreisen. Die monetäre Ausbeute ist jedenfalls mager und dürfte in den seltensten Fällen der Grund sein, mit einer Journalistin/einem Journalisten zu sprechen.

Ob es nicht doch auch in meinem Umfeld schwarze Schafe gibt, die erfinden, umschreiben, faken? Möglich. Wahrscheinlich. Auch wenn ich es nicht erlebt habe. Nochmal zu Claas Relotius: Ich kann schon nachvollziehen, wie man der Versuchung erliegen kann, sich einfach den perfekten Protagonisten zu stricken, wenn keiner hinschaut. Weil das betroffene Land so weit weg ist, weil dort ohnehin kaum einer den „Spiegel“ auf deutsch liest. Trotzdem erstaunlich, dass jemand in einer so klein gewordenen Welt glaubt, er käme damit auf die Dauer durch. Vielleicht ist das so, vielleicht hält man sich für unverwundbar, wenn man mit Anfang 30 als Shooting-Star der Reporterszene gehandelt wird. Ich weiß es nicht, ich war nie annähernd in der gleichen Situation.

2.) Der schmale Grat zwischen Distanz, Respekt und Mitgefühl

Von vielen schier unglaublichen Fälschungen, die dem Reporter bislang nachgewiesen worden sind, hat mich eine besonders unangenehm berührt: die von Fergus Falls. Eine Kleinstadt in den USA, in der sich Relotius für einige Zeit eingemietet hatte, um dort dem Zeitgeist der Trump-Ära nachzuspüren. Er hat dort tatsächlich mit Menschen gesprochen und sie auch namentlich zitiert – er hat dabei aber, so schreiben es die Bewohner von Fergus Falls in einer ausführlichen Stellungnahme, realen Personen schier unglaubliche Attribute angehängt, so diffamierend wie unwahr. Ein junger Mann, der „noch nie eine Frau hatte“ und„noch nie den Ozean gesehen hat“, wird in diesem sehr lesenswerten Beitrag gezeigt – mit seiner Freundin, am, haha: Strand.

Nun wäre es sicherlich blauäugig, jede dieser Gegendarstellungen ihrerseits kritiklos und ungeprüft einfach so hinzunehmen. Und natürlich setzen sich Leute zur Wehr, wenn sie sich ungerecht dargestellt sehen. Worauf ich hinaus will: Es ist immer wieder eine Herausforderung, Gesprächspartner nicht nur ernst zu nehmen, sondern die richtige Mischung zu finden aus „mein Gesprächspartner hat die Kontrolle, was von ihm veröffentlicht wird und was nicht“ und „ich habe die Deutungshoheit und bestimme die Dramaturgie eines Textes.“ Ja: Interviewpartner müssen damit leben, dass wir Journalisten auswählen, kuratieren, zusammenstellen und auch werten. Journalisten sind keine Pressesprecher und keine Ghostwriter. Wir dürfen aber beispielsweise nicht Zitate unzulässig zuspitzenoder gar aus dem Zusammenhang reißen, wie es uns gefällt. Dass wir nicht einfach erfinden und behaupten dürfen – nun, das wird nicht in der Journalistenschule gelehrt, schlicht, weil es so selbstverständlich ist.

 Gerade bei wenig medienerfahrenen Menschen empfinde ich es in meinem Berufsalltag auch als meine Aufgabe, gemeinsam auszuwählen. Notfalls auch mal einen Gesprächspartner vor sich selbst zu schützen, der mir private Dinge erzählt und vielleicht nicht die Konsequenzen überblickt, wenn das so in die Welt gelangt. Ich erlebe es häufig als ein gemeinsames Ringen um Wahrheit, wenn ich Protagonisten ihre Protokolle oder Zitate nochmal zuschicke und beide Seiten um Formulierungen kämpfen. Die deutsche Sprache? Google Translate ist mittlerweile immerhin weit genug, dass auch englischsprachige Gesprächspartner, die ich gelegentlich habe, meine deutschen Interviews bzw. Passagen aus Texten gegenlesen können.

Einen weiteren schmalen Grat möchte ich nur kurz miterwähnen: den zwischen Gesehenem, Erlebtem und Gehörtem. Mancher wird sich an eine Diskussion erinnern, die ebenfalls beim „Spiegel“ stattfand und in der es um eine Modelleisenbahn in Horst Seehofers Keller ging. Der Autor wusste vom Hörensagen, dass es sie gab, beschrieb sie aber, als sei er persönlich mit in den Keller gestiegen, um Seehofer beim Weichenstellen zuzusehen. Das kostete ihn einen Journalistenpreis. Schwieriges Thema. Ich erinnere mich an eine eigene Reportage über eine Extrem-Fallschirmspringerin, in der ich – natürlich – während des Sprungs aus 10.000 m Höhe nicht dabei war, mir aber im Nachhinein minutiös habe erzählen lassen, wie sie sich gefühlt hat, was sie gesehen, gerochen, gehört hat, und das dann realitätsnah aufgeschrieben habe. Ich habe dabei aber nicht bewusst klar gemacht: Achtung, das habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen. Ich war eher stolz darauf, wie plastisch die Textpassage trotzdem wurde. Sicherlich ein Punkt, bei dem ich nochmal mein eigenes Tun reflektieren sollte.

3.) Die Kontrollmechanismen: ein Netz mit (zu) weiten Maschen

Kontrollieren mich meine Auftraggeber, ob meine Interviewpartner real sind, ob die Fakten stimmen? Nicht direkt, es gibt auch in den meisten Häusern nicht mehr die minutiöse Dokumentation, die sich der „Spiegel“ noch leistet, meist gar keine mehr. Keine Redakteurin, kein Redakteur hätte in personell extrem eng besetzten Teams heute überhaupt die Muße, auch nur Stichproben zu machen à la: Lass mich auch mal mit dem telefonieren. Das ist in den meisten Fällen allerdings schon von daher nicht nötig, als dass die Protagonisten meiner Geschichten meistens (a) fotografiert werden – dann geht eine Mail mit ihren Kontaktdaten an die Fotoredaktion -, oder (b) aufgefordert werden, eigene Fotos zu schicken, und/oder (c) ihre Textpassagen nochmals von mir zur Abnahme bekommen. Weshalb es immer nochmal eine Korrekturschleife gibt, bei mir gottlob meistens mit einem Mail-Betreff wie „Mini-Änderungen xy“.

Generell stellt sich aber nach der Causa Relotius eine Grundsatzfrage: Müssen die Redaktionen wirklich misstrauischer sein gegenüber Festen wie Freien? Stichproben machen? Nicht mehr gutgläubig erwarten, dass ihnen verdiente Mitarbeiter keine haarsträubenden Lügengebäude auftischen, aus Ruhmsucht, aus der Versuchung, schnell mit wenig Aufwand ein wenig Kohle zu machen? Oder stimmt vielleicht im Gesamtsystem was nicht?

4.) Drinnen und draußen: wozu die ökonomischen Rahmenbedingungen uns treiben

Es gibt ein wunderbares Netz-Video meines geschätzten Kollegen Jakob Vicari von den Freischreibern, das vor einigen Jahren gedreht wurde, um auf die oft miserablen Arbeitsbedingungen freier Journalisten hinzuweisen. Darin fährt er auf einem klapperigen Herrenrad am Elbdeich entlang und sucht nach Al-Qaida.

Es ist irre lustig und zum Heulen. Denn: Ja, es gibt leider gute Gründe, warum die Situation so ist wie ist – den Verlagen geht es schlecht, die Printmedienkrise trifft alle, und wenn man das Pech hat, in einem sehr teuren Land auf Reportage geschickt zu werden, wird das magere Honorar oft fast von den Lebenshaltungskosten aufgefressen, ganz wörtlich. Denn Verpflegungsspesen gibt’s für Freie schon lang keine mehr, jedenfalls mehrheitlich.

Ich schreibe diese altbekannte Tatsache hier nochmal so ausführlich auf, denn wenn ich von den Arbeitsbedingungen der fest angestellten „Spiegel“-Kollegen lese, dann, ich gestehe: packt mich spontan der Sozialneid. Wochenlang vor Ort recherchieren dürfen und notfalls auch mal nach Hause kommen und sagen: sorry, war nix, gab keine Geschichte? Könnte man sich, so schreibt es jedenfalls Chefredakteur Ullrich Fichtner, auch mal leisten, ohne danach Ärger zu bekommen. Okay: Mal abgesehen vom Verlust von Ruhm und Ehre, und dass man sich dann möglicherweise eine Weile mit einem Schlappschwanz-Image herumschlägt. Aber immerhin: Es wäre kein Kündigungsgrund.

Bei uns da draußen, auf dem freien Markt, sieht das anders aus: Kein Text heißt kein Honorar (vielleicht auch keine Folgeaufträge), keine Protagonisten heißt kein Honorar (dito!), und wenn der Redaktion die vorgeschlagenen Protagonisten nicht gefallen, dann heißt es eben neu suchen, für, na? genau: kein zusätzliches Honorar.

Das ist schon in Ordnung, dazu sind wir Freiberufler, wir tragen unser Risiko selbst, wenn auch nicht alle von uns freiwillig (ich schon). Aber da kommt wieder der Moment, in dem sich die Systemfrage stellt, und zwar in mehrere Richtungen. Zum einen in Sachen Selbstverständnis: Müsste nicht neben dem Reporter-Ehrgeiz auch der Mut gefördert werden, eine Niederlage einzugestehen? Statt eine dünne Faktenlage so aufzublasen, dass doch noch was draus wird? Auf der anderen Seite: Sägen nicht viele durchaus seriöse Blätter an dem Ast auf dem sie sitzen, wenn sie Freie bei der Qualität genau auf denselben Mindeststandard drücken, auf dem die Bezahlung angekommen ist? Ja, ich finde auch: Viele Geschichten – inklusive manche meiner eigenen – könnte man besser machen, mit einer zusätzlichen Umdrehung Recherche, mit einer noch intensiveren Fallsuche, mit mehr Gegenchecks und Hintergrundgesprächen. Allein, es hängt, woran es so oft hängt: am Geld. Money, Macht und Eitelkeit – danach sollten wir fragen. Jede und jeder für sich, aber auch in den Redaktionen.