Sprich mit ihr!

Baugerüst vorm Fenster, Bohrer im Mund oder Buchungsfehler beim Romantik-Trip: Ich komme ganz gut klar mit den Unannehmlichkeiten des Lebens. Solange mir jemand sagt, was da eigentlich los ist. Darüber habe ich in der Brigitte-Kolumnenreihe „Geht das nur mir so“ geschrieben – im Frühjahr 2024. Wie man auf dem Foto übrigens sieht: Seit Ende September ist alles wieder beim alten.

Vor ein paar Wochen, es war noch kalt draußen, stand morgens plötzlich ein Mann auf meinem Balkon im zweiten Stock. Das war nicht weiter verwunderlich. Schließlich hatten ein paar Tage zuvor Bauarbeiter ein Gerüst vor unserem Hamburger Mietshaus hochgezogen. Dass so eine Altbausanierung im laufenden Betrieb kein Spaß ist, das dachte ich mir. Im nächsten Augenblick ließ er eine dunkle Folie vor dem Gerüst herunter, die ungefähr die Hälfte des Morgenlichts und den ganzen Ausblick wegnahm. Ratsch, so, als wäre plötzlich ein schwerer Vorhang zugegangen. Das hatte mir keiner gesagt.

Ich öffnete die Balkontür und versuchte, mehr herauszufinden. Was wird das? Und wie lang dauert das? Der Mann hob bedauernd die Hände, er sprach kein Deutsch. Das war auch nicht sein Job, ich mache ihm da keinen Vorwurf. Sein Job war, die Folie am Gerüst zu befestigen und danach auch noch Balkontür und Fenster von außen abzukleben. Das machte er gründlich. Eine halbe Stunde später sah es aus, als hätte jemand zusätzlich zum dunklen Vorhang auch noch einen massiven, zehn Meter hohen Schrank vor meinen Balkon gerückt. 

Ich begann, nach der E-Mail vom Vermieter zu suchen. Da war doch was gekommen. „Renovierungsarbeiten, bitte die Balkons freiräumen, kann zu Beeinträchtigungen kommen“, so stand es darin. Nennt mich naiv, aber das hatte ich mir harmloser vorgestellt. Später, auf der Straße, begegnete ich dem Chef des Handwerkertrupps. Der erklärte mir, dass wir für die nächsten ein, zwei Wochen Fenster und Balkontüren zur Vorderseite nicht mehr öffnen könnten, wegen der Sandstrahlarbeiten. Laut werden würde es auch. Danach müsste das Mauerwerk erstmal trocknen. Dann…

Die nächsten Arbeitsschritte erspare ich Ihnen, ist ja auch todlangweilig. Wobei: Mich, meine Familie und alle meine Nachbar*innen hätte es schon interessiert. Hätte ich das vorher genauer gewusst, ich hätte vielleicht unseren Urlaub auf diese Zeit gelegt. Oder wenigstens einen Schreibtisch in einem Coworking-Space gebucht. Und selbst wenn nicht, würde es ja schon helfen, wenn man informiert würde: Okay, das wird jetzt ein bisschen wehtun, in zwei Wochen ist das Schlimmste vorbei. Von mir aus auch: Es dauert, wie lang, wissen nicht mal die Handwerker. Alles besser als so ein wortkarges Einfach-mal-machen-dann-mal-sehen. „Sprich mit ihr“ – der Name eines alten Pedro-Almodovar-Films ist mein Lieblings-Imperativ.

Denn Reden hilft gegen Frust, Unsicherheit, schlechte Gefühle aller Art. Alternativ auch mailen, whatsappen oder in Gottesnamen faxen, ich bin da nicht wählerisch. Dies gilt auch und gerade bei nicht so guten Nachrichten. Einer der wenigen Männer in meinem Leben, der das ganz gut raushat, ist mein Zahnarzt. Der erklärt mir immerhin detailliert Schritt für Schritt, was er macht, wenn er bohren oder Keramikfüllungen anpassen muss. Wahrscheinlich weiß er, dass Hilf- und Sprachlosigkeit gepaart mit Informationsmangel keine gute Kombi für Patient*innen sind. Vor allem, während er die Finger in ihrem Mund hat. 

Andere haben da ein bisschen Nachholbedarf. Es wäre zum Beispiel auch sehr schön, wenn der Steuerberater einen ein bisschen früher vorwarnen könnte, ehe man eine astronomische Nachzahlung vom Finanzamt hingebrettert bekommt. Oder wenn ein Hotel einem bei der Buchung darauf aufmerksam macht, dass der günstige Tarif für die Romantik-Reise zufällig nur für die lichtlosen, muffig riechenden Kellerzimmer gilt. Die auch noch getrennte Betten haben. Ich denke ungern daran, weil es sich um das Geburtstagsgeschenk für meinen Mann handelte. Bei der Buchung hätte man wohl noch was ändern können, aber ahnt ja keiner, dass die im Souterrain nicht nur ausgemusterte Stühle, sondern auch Gäste lagern. Nach Ankunft war da leider nichts mehr zu machen.

Während ich diese Zeilen schreibe, im Wohnzimmer, ist draußen der Frühling ausgebrochen. Das Baugerüst draußen steht noch immer, aber wenigstens hängt jetzt eine Art Gaze davor, die Licht durchlässt und auch einen, wenn auch unscharfen, Blick nach außen ermöglicht. Das ist eine deutliche Verbesserung. Sonst passiert nichts, man munkelt, der Maurer sei krank. Ich hoffe, es geht ihm bald besser. Ja, es stimmt, all das ist auch eine Lektion in radikaler Akzeptanz, in buddhistischer Gelassenheit, die mir noch keine Meditationsübung je gebracht hat. Trotzdem: Den nächsten Mann auf meinem Balkon spreche ich wieder an. Und sag dann Bescheid, wie’s war.