„Gebraucht werden ist das Schönste am Vatersein – und das Schlimmste“

Die große Mehrheit aller jungen Eltern findet, ein Vater solle so viel Zeit wie möglich mit seinen Kindern verbringen. Aber die Quote derer, die länger Elternzeit nehmen oder ihre Arbeitszeit dauerhaft reduzieren, spricht eine andere Sprache. Wie kann sich das ändern? Fürs ELTERN-Magazin, Dezember 2022, habe ich mich mit vier Männern unterhalten, die Ernst machen

Treffen sich vier Väter auf Zoom und wollen mal reden. Darüber, wie Kind und Karrieremachen zusammenpassen, wie man Liebe, Abwasch und Jobprojekte zusammenbringt und woran es eigentlich liegt, dass zwischen Müttern und Vätern die Aufgaben immer noch so ungleich verteilt sind. Einer sitzt vor einem an die Wand gehängten Surfboard, einer ein Kellerbüro, zwei haben virtuelle Hintergründe eingeblendet; zwei sind älter, zwei jünger. Aber, kein Witz, eines haben sie alle gemeinsam…

ELTERN FAMILY: Roman, Marius, Harald, Volker: Ihr habt insgesamt zehn Kinder, seid alle verheiratet und angetreten, aktive Väter zu sein. Wie läuft‘s?

Roman: Ich habe nach der Geburt unserer Zwillinge nur zwei Monate Elternzeit genommen, rückblickend würde ich sagen, das war viel zu wenig. Aber ich glaube, am Ende macht nicht die Dauer der Auszeit einen guten Vater aus, sondern vor allem das normale Alltagsleben, das Teilen der Carearbeit, für 18 Jahre oder mehr. Es ist perfekt, ein halbes Jahr zu Hause zu sein, aber nicht, wenn man danach mehr oder weniger abwesend ist.

Wie sieht das konkret bei dir aus?

Roman: Unsere Kinder sind von etwa 8.30 bis 16 Uhr in der Kita, meine Frau und ich teilen uns Erwerbs- und Familienarbeit. Das muss nicht jeden Tag die gleiche Stundenzahl sein, aber am Ende des Monats, des Jahres muss man sich in die Augen schauen können und sagen: Ja, das hat für uns gepasst. Glücklich-glücklich kann gleichbedeutend sein mit Fifty-Fifty, muss aber nicht. Meine Erfahrung ist, je aktiver man als Vater ist, desto schöner wird es, desto mehr vermisst man seine Kinder, wenn man ihnen mal nicht nah ist. Viele Väter, gerade solche in Führungspositionen wie ich, haben das nie erlebt.

Marius: Bei meinem älteren Sohn, jetzt neun, habe ich auch nur die zwei Vätermonate gemacht, ohne groß nachzudenken – das war halt Standard. Später wurde auch ich Papa von Zwillingen, und habe ein ganzes Jahr lang ausgesetzt. Meine Frau ist Ärztin mit eigener Praxis, ich war damals angestellt in einem großen Konzern. Danach bin ich in Teilzeit zurückgegangen, mittlerweile habe ich mich selbständig gemacht und halte außerdem den Laden zu Hause am Laufen. Das heißt, wenn in der Kita ein Kind hinfällt, dann bin ich derjenige, der angerufen wird. Das musste ich denen erst mal beibringen!

Harald: Ich bin hier in der Runde der Hardcore-Elternzeitler: Ingesamt elf Jahre mit einem Pflegekind und später zwei leiblichen Kindern. Das lag aber auch daran, dass mein früherer Arbeitgeber, ein Mittelständler aus dem Technikbereich, mich mit allen Mitteln loswerden wollte. Heute arbeite ich 14 Stunden die Woche als Schreibkraft, was gut in unser Leben passt, aber wenn man ehrlich ist, bin ich formal total überqualifiziert. 

Volker, du berätst seit über 15 Jahren Firmen zu Vereinbarkeitsthemen, speziell im Hinblick auf Väter. Welche Erfahrungen bringst du selbst mit?

Volker: Meine Frau und ich haben mit unserer älteren Tochter schon vor 22 Jahren ein Fifty-Fifty-Modell gelebt, das war damals noch viel schwieriger zu organisieren, es gab ja kaum Betreuungsplätze für jüngere Kinder. Auch mir hat mein Arbeitgeber damals für eine Vater-Auszeit die Rote Karte gezeigt – das war der Anstoß für meine Selbständigkeit. Heute haben wir Kunden vom Großkonzern SAP bis zu den Stadtwerken Lübeck, und überall rumort es in den Unternehmen. Auch durch den Homeoffice-Boom während Corona sind gerade jüngere Väter zunehmend nicht mehr bereit, alte Muster weiterzustricken. 

Und doch ist der Fortschritt eine Schnecke, und Beispiele wie die euren bleiben die Ausnahme. Woran liegt das: die Wirtschaft, die Männer, die Frauen…?

Marius: Als ich meinem Vorgesetzten gesagt habe, dass ich über ein Jahr pausieren will, wusste ich, dass meine Expertise nicht so schnell zu ersetzen ist und habe das auch so angekündigt – „Chef, jetzt versau ich Ihnen den Tag!“. Er hat es trotzdem cool aufgenommen, da kann ich nicht klagen. Unangenehm waren eher die Spitzen aus der obersten Führungsebene. Die trifft man auf dem Flur, unterhält sich nett, „Mensch, Sie gehen in Elternzeit, freuen Sie sich?“, und im Gehen kommt dann eine Bemerkung wie: „Na, Sie werden schon wissen, was Sie tun“. Da ist noch viel altes Denken in den Köpfen.

Roman: Diese Haltung zieht sich noch immer quer durch die Gesellschaft, bei Männern wie Frauen, im Privaten wie im Beruflichen. Wenn ich Interviews gebe, kommentieren auch manche Frauen online: Aber Kinder gehören doch zur Mutter! Andererseits begreifen auch manche Männer nicht, warum sich überhaupt etwas ändern sollte. Dabei ist für mich eines klar, moderne Unternehmenskulturen brauchen nicht nur Frauen im Vorstand, sondern auch Väter, die für ihre Kinder da sein können.

Gehst du als Chef mit gutem Beispiel voran?

Roman: Ich gehe auf Mitarbeitende zu und sage: Ich hab gehört, du wirst Papa, oder du wirst Mama, wie können wir dich unterstützen? In meinem Führungsteam sind alle Männer in Elternzeit gegangen, auch mehr als zwei Monate. Denn wenn ein Chef, eine Chefin das aktiv angeht und kein Tabu aus Vereinbarkeitsfragen macht, erzählen Männer im Unternehmen früher und offener, dass sie Vater werden. Nach dem dritten Monat, wenn sie es auch ihren Freunden sagen. Das wiederum gibt dem Arbeitgeber fast ein halbes Jahr Puffer, um zu planen.

Harald: Klingt gut, aber ich habe genau das Gegenteil erlebt. Man hat ja als werdender Vater nicht denselben Kündigungsschutz wie eine werdende Mutter, ob es also schlau ist, frühzeitig eine Ankündigung zu machen, hängt also sehr von der Unternehmenskultur ab. Für meinen Vorgesetzen war ich sofort abgeschrieben, als ich gesagt habe, ich möchte aussetzen.

Roman: Aber meiner Meinung nach macht es der derzeitige Fachkräftemangels einfacher, einen neuen Arbeitgeber zu finden, der Vereinbarkeit ermöglicht. Es wäre doch jetzt genau die richtige Zeit für Väter, selbstbewusster aufzutreten!

Harald: Ich habe mich vielfach in Teilzeit beworben, sowohl im Bereich Einkauf und Beschaffung, wo ich vor meiner Elternzeit gearbeitet habe, als auch mit meiner Basisqualifikation als Elektriker und Elektrotechniker. Aber wenn die sehen, da will ein Mann weniger als 30, 40 Wochenstunden arbeiten, kommt innerhalb von drei Tagen eine Absage!

Volker: Es gibt Riesenunterschiede zwischen den Milieus, zwischen Stadt und Land. Zwar nehmen in Bayern die meisten Väter die zwei so genannten Vätermonate, mehr als in allen anderen Bundesländern, aber danach heißt es, vor allen in ländlichen Gebieten: Jetzt bringst du bitte wieder 120 Prozent, für Familie ist deine Frau zuständig. In Metropolregionen mit mehr Fachkräftemangel, mehr Konkurrenz, mehr Vielfalt ist die Situation oft günstiger. Aber es gibt auch eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle, die sagt: Nicht nur jede zweite Frau erfährt im Arbeitsleben Diskriminierung, wenn sie Mutter wird, auch jeder dritte Vater. Bei den Frauen ist es eher die Rückkehr in den Job, bei den Vätern beginnt es bei der Ankündigung, dass sie reduzieren möchten, weil ein Kind kommt. Da ist die Politik gefragt, Rahmenbedingungen zu ändern, das können wir nicht nur im Privaten lösen.

Marius: Bin ich total bei dir. Wir müssen aber aufpassen, nicht in so einen Tenor abzugleiten: Hilfe, Familie, Riesenbelastung! Ich habe total davon profitiert, in der Elternzeit einen Schritt zurückzumachen vom Arbeitsleben, Dinge anders zu denken. Ich habe eine andere Perspektive auf das Leben, einen anderen Fokus. Das bringt mich persönlich weiter, im Berufsleben, in der Paarbeziehung.

Volker: Gutes Stichwort, Paarbeziehung. Entscheidend ist, dass man es schafft, nicht nur Familienarbeit, sondern auch den Mental Load gerecht aufzuteilen: Wer besorgt das Geschenk für die Schwiegermutter oder organisiert den Kindergeburtstag? Da entsteht nämlich schon in der Elternzeit ein Ungleichgewicht, weil das zu wenig besprochen wird. Ich würde mir auch wünschen, dass die neuen, jungen Väter die älteren fragen, Mensch, wie habt ihr das denn eigentlich gemacht? Wann habt ihr euch wie aufgeteilt? 

Marius: Die haben sich doch solche Gedanken größtenteils gar nicht gemacht! 

Harald: Also, ich bin in den Siebzigern, Achtzigern in kleinbäuerlichen Strukturen groß geworden, da hat zu Hause jeder angepackt. Wenn mein Vater im Schichtdienst war, saß meine Mutter auf dem Traktor, und wenn sie beim Arbeiten war, dann hat mein Vater mir das Schulbrot geschmiert. Für mich ein gutes Vorbild. Als ich selbst Vater wurde, habe ich jedenfalls viel positives Feedback bekommen, vom Freundeskreis bis zur Krabbelgruppe.

Marius: Ja, dieses Positive habe ich auch erlebt, aber nicht nur. Es gab auch total absurde Situationen. Etwa, wenn man Bekannte trifft und erzählt, wir haben Zwillinge, da kommt vor allem von älteren Frauen gerne so ein Spruch: „Oh, die arme Mutter.“

Roman (lacht): Ja, hier auch: „Das ist aber anstrengend für Ihre Frau.“ 

Marius: Dabei freuen wir uns doch darüber, dass wir diese Kinder haben, da ist niemand arm. Zweitens bin ich derjenige, der zu Hause alles wuppt. Drittens, bring dein Weltbild in die Altstofftonne. Aber auch bei Babytreffen gab es solche, die sich keinen Reim auf mich machen konnten. Einmal habe ich zwischen zwei Müttern gesessen, die sich lang und breit über meinen Kopf hinweg über meine Kinder unterhielten, als wäre ich gar nicht da: „Oh, süß, Zwillinge, welches ist wohl das ältere….“ Dabei hätten sie mich nur fragen müssen, sie wussten ja, dass die Kinder zu mir gehören.

Über eine Sache haben wir noch nicht gesprochen, das Geld. Es gibt Paare, da können sich weder Mütter noch Väter längere Auszeiten leisten….

Harald: Stimmt, Elternzeit ist Luxus. Wir sind es pragmatisch angegangen: Was gibt unsere Konstellation her, jenseits von Männer- und Frauenrolle? Meine Frau war erst fünf Jahre in ihrem Beruf als Lehrerin und wollte vorankommen, ich bin zehn Jahre älter und hatte dafür mehr Rentenpunkte. Logisch, dass ich zu Hause bleibe.

Marius: Wir haben für meine Elternzeit bei den Zwillingen hart gespart. Wir hätten sie auch früher in die Krippe geben können, aber das wollten wir nicht, weil wir bei unserem Großen nicht so gute Erfahrungen gemacht hatten. Danach was das Geld komplett aufgebraucht, aber das war es uns wert. Mein Punkt ist, in vielen Familien findet dieser Planungsprozess gar nicht statt. Der Mann denkt, er muss die Kohle anschaffen, die Mutter denkt, sie müsste zu Hause bleiben, und damit wird das Thema so weggewischt. 

Volker: Wir wissen, dass 77 Prozent der Väter den Löwenanteil des Geldes nach Hause bringen, es sagen aber auch 70 Prozent der Mütter, dass es wichtig für sie ist, in den ersten Jahren Zeit mit dem Kind zu verbringen. Das emotionale steht noch vor dem finanziellen. Und ich gebe Marius recht: Wir haben noch keine gesellschaftlichen Rituale dafür, wie und wo Paare sich darüber austauschen könnten! Väter gehen heute mit zum Geburtsvorbereitungskurs und reden über Ängste vor der Geburt – aber nicht darüber, was danach kommt. Unsere Idee als Beratungsunternehmen ist, Vereinbarkeitscoaches in Firmen zu installieren, die mit werdenden Eltern ins Gespräch kommen, auch wenn einer von beiden gar nicht dort arbeitet. Es braucht eine andere Gesprächs- und Arbeitskultur, quer durch die Branchen – auf dem Bau, in Rechtsanwaltskanzleien, im Gesundheitswesen….

Roman: Ganz wichtig! In der Chirurgie kannst du auch nicht einfach hinwerfen, wenn vor dir einer auf dem Tisch liegt, nur weil die Kita anruft, dass dein Kind Fieber hat. Anders als in anderen Berufen. Es gibt aber schon New Work-Modelle für Gesundheitswesen oder Industrie, mit denen man zum Beispiel per App flexibel Schichten tauschen kann, das hilft sehr. Aus meiner eigenen, früheren Erfahrung als Schichtarbeiter würde ich sagen: Es hat auch Vorteile, wenn ein Vater am Ende des Arbeitstages den Hammer und die Feile fallen lassen kann und seine Kinder abholen, ohne auch für den Rest des Tages immer und überall erreichbar sein zu müssen. Abschalten fällt da sicher leichter als in einem Job wie meinem.

Harald: Ich bin bei vielem ganz bei dir, Roman. Aber wenn du eine Woche Spätschicht hast, eine Frühschicht, danach eine Nachtschicht, musst du trotzdem nachmittags die Betreuung bezahlen, auch wenn du sie nicht nutzt. Wenn mein Kind in die Musikschule gehen will und der Nahverkehr auf dem Land ist ein Debakel, dann ist der halbe Nachmittag mit Fahrdiensten belegt. Vieles klingt in der Theorie besser als in der Praxis. 

Zum Schluss ein Gedankenexperiment. Stellt euch vor, ihr seid 70 Jahre alt, eure Kinder erwachsen. Was sollen sie über euch sagen, wenn sie an ihre Kindheit denken?

Volker: Es wäre schön, wenn meine Töchter sagen: Er hatte immer dann Zeit für mich, wenn es wirklich wichtig war.

Marius: Da schließe ich mich an.

Roman: Man muss ja erstmal anwesend sein, um auch zum richtigen Zeitpunkt da zu sein. Meine Kinder sollen sich daran erinnern, dass sich nicht nur das Eis am Wochenende mit ihnen geteilt habe. Sondern auch ihre Probleme und Sorgen.

Harald: So ist es. Ständig gebraucht zu werden, das ist das Schlimmste am Vatersein. Und zugleich auch das Schönste.

Unsere Gesprächspartner:

ROMAN GAIDA, 40, lebt mit seiner Frau und vierjährigen Zwillingssöhnen in Düsseldorf und leitet den Geschäftsbereich CNC in der Niederlassung des Mitsubishi-Konzerns. In seinem aktuellen Buch erzählt er von seinem Weg zwischen Karriere und Vaterschaft und gibt Tipps für Männer, die beides wollen: „Working Dad“, Campus, 24 €

HARALD LÖFFLER, 52, ist mit Frau und drei Kindern (11, 9 und 5) im ländlichen Franken zu Hause. Der ausgebildete Elektrotechniker arbeitet zur Zeit in Teilzeit als Schreibkraft.

MARIUS KRONSBERGER, 41, wohnt mit Frau und Kindern (das ältere neun, die jüngeren Zwillinge vier) als Immobilienmakler an der Ostsee. Seine Erfahrungen aus der einjährigen Elternzeit sind nachzulesen in „Von einem der heimging, um bei seinen Kindern zu sein“ (im Selbstverlag, zu bestellen im Buchhandel, 14,90 €)

VOLKER BAISCH, Unternehmensberater, 55, hat mit seiner Frau zwei erwachsene Töchter und lebt in Hamburg. Seine Firma entwirft Konzepte zu Vereinbarkeitsfragen im Job, besonders im Hinblick auf Väter (conpadres.de)

Die Stunde der Väter

Die Frauenbewegung, die deutsche Vereinigung, die Elterngeld-Gesetzgebung – das alles hat die Vaterrolle verändert, aber im Schneckentempo. Bringt die Pandemie den Turbo? Mit dieser Frage habe ich mich für die Mai-Ausgabe 21 des ELTERN-Magazins beschäftigt. Hier eine gekürzte Fassung.

Wann genau spürt ein Mann, was Vatersein bedeutet: Wenn er zum ersten Mal sein Kind im Arm hält? Das erste Familienselfie in die Welt hinaus schickt? Bei Ricardo Liesig, 39, passierte es schon ein paar Minuten vor der Geburt seines ersten Babys, im Kreißsaal. „Der Oberarzt sagte zu mir: Wenn ich Ihnen etwas raten darf, bleiben Sie dran an Ihrem Kind. Denn wenn der Faden einmal ab ist, ist er ab.“ Zehn Jahre ist das her, aber die Worte von Mann zu Mann, die hat er nie vergessen: „Meine Kinder stehen in meinem Leben immer an erster Stelle.“

Vom „Neuen Vater“ war schon vor ein paar Jahrzehnten die Rede, als die ersten sich nicht mehr damit zufriedengaben, ihren Neugeborenen hinter der Glasscheibe der Säuglingsstation zuzuwinken oder beim Einschulungsfoto einmal kurz durchs Bild zu huschen. Aber häufig war der Wunsch Vater des Gedankens, dann kam nicht viel nach. „Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre“ nannte das der Soziologe Ulrich Beck in den Achtzigern. Was sich seither bewegt hat, zeigt eindrücklich eine Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des Bundesfamilienministeriums von 2019: 84 Prozent aller Eltern minderjähriger Kinder finden, ein Vater solle so viel Zeit wie möglich mit seinem Nachwuchs verbringen. Nur 30 Prozent sind der Meinung, das sei auch schon in ihrer eigenen Kindheit erstrebenswert gewesen. Und junge Väter halten Wort: Während vor Einführung des Elterngeldes 2007 nur vier Prozent in Elternzeit gingen, nimmt heute etwa jeder zweite eine Babypause. 

Selbst wenn es meist nicht mehr sind als die zwei „Partnermonate“, hat das tiefgreifende Folgen. Väter sind von Anfang an selbstbewusster in ihrer Rolle, und die Kinder erleben: Wenn ich mit dem Laufrad hingefallen bin, Krach mit meiner Kitafreundin habe oder einen Basteltipp brauche, ist Papa nicht minder zuständig als Mama. Harald Rost, Soziologe und Väterforscher am Staatsinstitut für Familienforschung der Universität Bamberg, sagt: „Die gesellschaftliche Entwicklung braucht viel Zeit. Aber sie geht stetig in dieselbe Richtung.“ Antreiber dafür, sagt Rost, waren ursprünglich vor allem die Mütter: Die erste Generation gut ausgebildeter Frauen in den Siebzigern und Achtzigern, die von ihren Partnern Engagement und Unterstützung forderten. Die deutsche Vereinigung tat ihren Teil dazu, weil in der DDR viel mehr Mütter erwerbstätig waren als in der alten Bundesrepublik. Der gesellschaftliche Vorsprung zeichnet sich noch heute in der Statistik ab: Vergleicht man, wo Väter am häufigsten und am längsten Elterngeld beziehen, liegt die 100.000-Einwohner-Stadt Jena regelmäßig vor westdeutschen Metropolen wie Hamburg und München. 

Eine gute Nachricht mit einem kleinen Schönheitsfehler. Denn oft hält die innere Überzeugung auf Dauer nicht der Realität stand. Etwa, weil Väter im Durchschnitt vor dem ersten Kind besser verdienen – eine Folge des üblichen Altersunterschiedes und des Gender Pay Gaps – , weshalb sich längere Job-Auszeiten bei ihnen stärker aufs Familieneinkommen durchschlagen. Zwar steigt die Anzahl der männlichen Teilzeitbeschäftigten mit Kindern, aber auf niedrigem Niveau, in den letzten Jahren auf etwa sieben Prozent. Und als uns die Pandemie überrollte, mit Lockdown und Schulschließungen, fürchteten vor allem weibliche Wissenschaftlerinnen: Es wird die Gleichberechtigung um Jahrzehnte zurückwerfen, weil Mütter das ausbaden!

Ein Jahr später zeigt sich ein Bild, das nicht so schwarzweiß ist wie befürchtet. Martin Bujard, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, fasst zusammen: „Unter dem Strich hat die Coronakrise in manchen Gruppen zu mehr Gleichberechtigung geführt.“ Zwar tragen Mütter messbar die Hauptlast, aber die Pandemie ist teils auch eine Chance für die Beziehung zwischen Vätern und Kindern. Details sieht man, wenn man die Daten nach Berufsgruppen aufschlüsselt. Am allerschwersten haben es solche, in denen der Vater einen „systemrelevanten“ Beruf hat, etwa als Intensivpfleger oder Supermarktleiter, die Mutter aber nicht. Denn das führt eher zu einer noch traditionelleren Rollenverteilung. Anders im umgekehrten Fall: „Wenn die Mutter außer Haus arbeitet, etwa als Ärztin oder im Labor, sind Väter viel mehr gefragt“, so Bujard. Auch Phasen von Kurzarbeit entpuppten sich für viele als Segen auf den zweiten Blick: Dort, wo Männer wenig oder gar nicht arbeiteten, dabei aber einen Großteil ihres Gehalts bezogen, übernahmen sie 41 Prozent der Erziehungs- und Haushaltsarbeit. Rekord! Und während sich der Anteil regelmäßiger Homeoffice-Arbeiter und -arbeiterinnen im ersten Lockdown 2020 von fünf auf 25 Prozent erhöht hat, ergab sich neben allem Stress oft auch mehr Verständnis: „Arbeiten beide zu Hause, kann man nicht nur Zuständigkeiten gerechter verteilen, sondern auch besser würdigen, was der jeweils andere leistet“, bilanziert Bujard. 

Besonders engagiert in der Krise waren übrigens Väter auf mittlerem Bildungsniveau: Sie haben die Akademiker nicht nur eingeholt, sondern überholt. Vor der Pandemiezeit brachten es die Studierten auf dreieinhalb Stunden Familienarbeit täglich, seither sind es vier – sie überlassen ihren Partnerinnen oft die Mehrarbeit. Dagegen bringen es Handwerker, Facharbeiter oder Verkäufer jetzt auf täglich sechs Stunden – vorher waren es zwei Stunden und fünfzehn Minuten. 

Doch was wird von diesen Verschiebungen bleiben, wenn Corona geht? Bujard ist zuversichtlich: „Erfahrungen prägen Entscheidungen!“ Es macht langfristig einen Unterschied, wenn Väter einmal einen Fuß in der Tür haben, aber auch, wenn Paare in die Traditionalisierungsfalle tappen. Außerdem, glaubt der Experte, haben die Krisenerfahrungen Kollegen und Chefs auch ein anderes Bild vermittelt, vor allem in Homeoffice-Jobs: „Wenn man täglich im Videocall sieht, dass Kinder durchs Bild laufen oder ein Spielzeug herumliegt, macht es die Arbeitskultur bestenfalls menschlicher, verständnisvoller. Einfach, weil man sich gegenseitig in einer anderen Rolle wahrnimmt.“

Die Steilvorlage ist da, man muss sie nur verwandeln? Skeptischer sieht das Jutta Rump, Betriebswirtschafts-Professorin und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen: „Corona hat viele Entwicklungen enorm beschleunigt, aber nicht nur zum Guten. Auf der Habenseite: Mobiles Arbeiten ist zu einer akzeptierten Variante geworden, Kommunikation funktioniert zunehmend digital, virtuell, hybrid. Auf der anderen Seite haben auch wieder andere Führungsfiguren Konjunktur, etwa der hierarchisch denkende, meist männliche Krisenmanager. Und weiche Themen wie Vereinbarkeit könnten hinten runterfallen – vor allem, wenn Unternehmen sparen müssen.“ Klar: Ist die eigene Firma coronabedingt in Schräglage, dann ist man froh, wenn man seinen Job noch hat, und äußert lieber keine Sonderwünsche. Und dann sind da auch noch jene Eltern, die kaum von den Veränderungen profitieren: In 43 Prozent aller Paarfamilien kann keiner von beiden Eltern mobil arbeiten. Kita-Erzieherin und LKW-Fahrer, Chefärztin und Buchhändler. Wie also schaffen wir die Grundlage für ein Lebens- und Arbeitsmodell, in dem mehr Wahlfreiheit möglich ist und mehr Zeit für Väter und Kinder – zum Toben, ins Bett bringen, Inlineskates fahren, Playstation-Duell?

Jutta Rump glaubt: Veränderung geschieht nur, wenn sie von mehreren Seiten angeschoben wird. Zum einen, wenn der Staat Gleichberechtigung auch finanziell attraktiv macht, etwa durch das gemeinsame Elterngeld Plus. So wie es bereits passiert. Zum anderen psychologisch, durch die richtigen Vorbilder. Ältere Kollegen, die Verständnis äußern, wenn man lieber zur Schulaufführung der Tochter geht als auf ein Feierabendbier; männliche Chefs, die ein paar Monate Elternzeit nehmen, sich Führungsjobs teilen. Jüngstes Beispiel: Rubin Ritter, der 2020 öffentlichkeitswirksam seinen Job als Finanzchef beim Online-Riesen Zalando an den Nagel hängte, damit seine Frau nach der Geburt des zweiten Kindes wieder in ihrem Beruf als Richterin arbeiten kann. Klar, dass sich eine Familie in dieser Preisklasse keine Sorgen machen muss, wie sie mit einem Gehalt die Miete für die Dreizimmerwohnung stemmen soll – als Rollenmodell taugen diese Geschichten trotzdem, findet Rump: „Je mehr schon Kinder bei ihren Eltern gleichberechtigte Lebens- und Arbeitsmodelle sehen, desto selbstverständlicher werden sie später selbst übernehmen.“ Und das ist vielleicht eines der schönsten Geschenke, die Väter machen können. Ihren Töchtern wie ihren Söhnen.

INTERVIEW

„Starke Väter brauchen auch starke Mütter“

Volker Baisch ist Geschäftsführer der „Väter gGmbH“, die seit zehn Jahren Arbeitgeber zum Thema „väterfreundliche Personalpolitik“ berät. Er sagt: Veränderung ist auch eine Frage des Selbstverständnisses – und da sind Frauen fast ebenso gefragt wie Männer

ELTERN FAMILY: Durch Ihre Tätigkeit kennen Sie ganz unterschiedliche Arbeitsfelder, vom Handwerksbetrieb bis zum Großkonzern. Wo hat sich durch die Pandemie am meisten für arbeitende Väter verändert, und eher zum Guten oder eher zum Schlechten?

Volker Baisch: Natürlich haben große Konzerne oft andere Möglichkeiten zur Arbeitsumgestaltung als Mittelständler. Aber das Thema Vereinbarkeit, sowohl für Männer als auch für Frauen, hat an Fahrt aufgenommen und wird auch nicht verschwinden. Denn die Firmen sind teils besser durch die Krise gekommen als befürchtet und stehen vor der Herausforderung, Beschäftigte zu halten oder sogar neu zu gewinnen.

Das klingt nach einer Chance für Elternpaare – aber man hört in der Pandemie auch von viel Frust, Streit, Trennungen…..

Corona ist ein Lackmustest fürs eigene Rollenverständnis. Nach meiner Beobachtung sind am besten solche Paare durch die Krise gekommen, die sich schon davor bewusst um Gerechtigkeit bemüht haben. Probleme hatten eher die, die einfach hineingeschlittert sind und all diese Auseinandersetzungen nachholen mussten. Dabei kann es eine Riesenchance sein, sich zusammenzusetzen und zu reflektieren: Was lief gut, was wollen wir dauerhaft ändern? Zwölf Monate und länger, das ist ja eine Zeitspanne, in der sich neue Muster gründlich üben lassen.

Praktisch gefragt: Tun sich Männer im Homeoffice leichter – einfach, weil sie mit professionellem Tunnelblick den Wäscheberg übersehen?

Das ist sicherlich so, denn wer üblicherweise acht bis zehn Stunden nicht zu Hause ist, nimmt diese Haltung auch mit an den Heimarbeitsplatz. Der so genannte Mental Load bleibt häufig an den Müttern hängen. Umgekehrt haben viele Väter zum ersten Mal bewusst wahrgenommen: Ah, das ist auch alles noch zu tun! Dabei ist es nicht sinnvoll, wenn sich beide für alles zuständig fühlen, besser ist es, klar zu verteilen: Wer macht den Wocheneinkauf, wer die Wäsche, wer bringt die Kinder in die Kita.

Also private Verhandlungssache?

Nicht nur! Die Arbeitgeber sind gefragt, in dem sie mehr Flexibilität schaffen, zum Beispiel anordnen, dass montags und freitags nach Möglichkeit keine wichtigen Konferenzen stattfinden, oder glaubhaft vermitteln: Die Angst vor einem Karriereknick ist unbegründet, wenn Männer sich familiär mehr engagieren! Das sollten die Angestellten auch aktiv einfordern. Zur Wahrheit gehört aber ebenso: Wo die Kultur im Unternehmen dem widerspricht, haben es Einzelkämpfer schwer.

Und was ist mit Jobs, die Präsenz erfordern – im Gesundheitswesen, im Handwerk, im Handel? 

Man kann auch ein aktiver Vater sein, wenn Homeoffice keine Option ist. Das Elternzeit Plus-Modell ist eine gute Basis, um zum Beispiel für ein halbes Jahr auf eine Vier-Tage-Woche zu reduzieren, wenn Kinder klein sind. Und wir sehen immer wieder, dass auch Branchen mit Schichtbetrieb auf die Bedürfnisse von Eltern Rücksicht nehmen können, etwa bei der Polizei.

Als Mutter würde ich gern noch wissen: Wenn wir uns als Frauen aktivere Väter wünschen, was können wir dazu tun?

Erstens: So früh wie möglich das Thema Aufgabenverteilung und Lebensplanung aufs Tapet bringen, am besten schon in der ersten Schwangerschaft. Denn nur so haben beide Partner auch die Chance, die Elternrolle einzuüben. Zweitens: Keine doppelten Botschaften senden. Denn eine Mutter, die sich völlig zu recht einen aktiven Vater wünscht, muss ihrerseits auch bereit sein, den gegenteiligen Part zu übernehmen, also engagiert im Beruf zu sein und nicht den Anspruch haben, einfach versorgt zu werden. Nur so wird ein Schuh daraus.