Mit leeren Händen

Möchte eine Frau ein Baby, kann sie Mittel und Wege finden, auch solo. Für Männer bleibt der Kinderwunsch dagegen unerfüllt, wenn ihre Partnerin nicht will oder kann. Und für Singles wird es ganz schwierig. Für ZEIT online habe ich im März 2022 mit einem Mann gesprochen, der nichts so gerne hätte wie ein Kind

Natürlich weiß Michael, dass es in Deutschland illegal wäre, Frauen dafür zu bezahlen, eine Schwangerschaft für ein Paar auszutragen. Erkundigt hat er sich trotzdem, bei einem Unternehmen in den USA und einem in Osteuropa. Er hat dann schnell wieder davon abgesehen, er will ja nichts Kriminelles, niemandem schaden. Er wünscht sich nur so sehr ein Kind. Aber Michael ist 37 Jahre alt und hat kein Kind. Eines Tages hat er im Streit zu seiner Partnerin gesagt: „Was, wenn ich eines Tages vor dir stünde, mit einem Baby? Wenn ich dich einfach vor vollendete Tatsachen stellen würde?“ 

Er hat versucht, sich eine Zukunft ohne Nachwuchs vorzustellen, sagt er, „aber da wird es in meinem Kopf zappenduster.“ Malt er sich ein Leben als Vater aus, hat er dagegen Kino im Kopf: Ausflüge, gemeinsam malen, basteln, Fragen beantworten, die Welt erklären. Schöne, helle Bilder, die heil machen könnten, was er mit sich herumträgt: Erinnerungen an eine schwierige Kindheit, mit einer Mutter, die eines Tages ging und einen Vater, der gebrochen zurückblieb. Er wollte es anders machen. Das wusste er schon mit 13.

Trifft man Michael im Park der kleinen Stadt, in deren Nähe er lebt, ist der erste Eindruck: Da kommt ein freundlicher Mann. Nicht groß, nicht breit, eher leise. Die Worte rollen in weichem Dialekt von seinen Lippen. Seine Sätze beginnt er häufig mit „man“ statt mit „ich“ – gerade dann, wenn es im Gespräch emotional wird. Er könnte gut einer von jenen sein, die zur selben Zeit mit einem Baby im Tragetuch zwischen Krokussen und Schneeglöckchen spazieren gehen oder einem Kleinkind auf dem Laufrad hinterhereilen. Die Rolle würde zu ihm passen. Einmal war er sogar ganz nah dran.

„Nachdem ich meine Lebensgefährtin kennengelernt habe, bin ich immer davon ausgegangen, dass wir eines Tages Kinder haben werden. Sie ist der totale Familienmensch, hat ein inniges Verhältnis zu ihren eigenen Eltern, schon eine Mahlzeit allein ist ihr zuwider.“ Als die Pläne für beide mit Mitte 30 schließlich konkreter wurden, so erzählt Michael es heute, war seine Partnerin sich plötzlich nicht mehr so sicher: Was würde eine Schwangerschaft mit ihrem Körper machen, was die Mutterschaft mit ihren beruflichen Plänen? Am Ende rang sie sich dennoch durch – ein wenig wohl auch ihm zuliebe. Er sagt, er wäre bereit gewesen, alles zu übernehmen: den Großteil der Elternzeit, nachts für das Baby aufstehen. Als 35-Jähriger wollte er Ernst machen mit neuen Rollenverteilungen.

Aber dazu kam es nicht. Statt einer Zeit der Hoffnung und Vorfreude war die Schwangerschaft ein Horrortrip. Zu Beginn litt Michaels Partnerin unter extremer Übelkeit, dann, im vierten Schwangerschaftsmonat, kam das Kind tot zur Welt. „Ich habe noch selten im Leben so geweint“, sagt Michael. Das Nachhausekommen aus dem Krankenhaus fühlte sich an wie eine grausame Parodie auf das, was er sich ausgemalt hatte: statt mit einem lebendigen Baby im Arm mit dem toten, kleinen Körper in einer verschlossenen, herzförmigen Spanschachtel, die sie schließlich dem Bestatter übergaben. Übrig blieben nur eine Geburts- und Sterbeurkunde mit dem Namen, den sie sich für den Jungen ausgesucht hatten, ein winziges Mützchen und ein taubes Gefühl. 

Für seine Trauer, seinen Schmerz, seine inneren Kämpfe war danach nur wenig Platz, so hat Michael es empfunden. „Ich hatte so sehr versucht, für meine Partnerin da zu sein in dieser schweren Zeit. Alles getragen, alles organisiert, mitgedacht, als sie nicht dazu in der Lage war. Aber als es passiert war, fragte kaum jemand danach, wie es mir geht, die Freunde, die Kollegen. Nur danach, wie sie es verarbeitet. Als beträfe mich das gar nicht.“

Es ist ein Paradox. Um ein Kind zu bekommen, braucht es zwei Personen, wenigstens ihre Keimzellen. Doch sobald es um Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Geburt geht, steht der Frauenkörper im Vordergrund. Naheliegend, denn die Gesundheit der Mutter, ihr Wohlergehen und auch Lebensplanung sind noch immer stärker mit einem Kind verknüpft als bei Männern, biologisch wie sozial, ob es einem gefällt oder nicht. Männer können Frauen nicht zwingen, schwanger zu werden oder es zu bleiben. Dafür können sie sich später leichter der Verantwortung entziehen. Frauen können dagegen zumindest beeinflussen, ob, wann und von wem sie ein Baby bekommen. Wenn sie Single sind oder in einer lesbischen Beziehung leben und einen unerfüllten Kinderwunsch haben, können sie die Hilfe einer entsprechenden Klinik in Anspruch nehmen. Männer haben diese Option nicht.

Die größere Ferne zwischen Vater und Kind schlägt sich sogar in der Statistik nieder. Während man recht genau weiß, ob eine Frau Kinder hat und wie viele, sind Erhebungen wie der amtliche Mikrozensus für Männer nur bedingt aussagekräftig. Erhoben wird zwar die Anzahl von minderjährigen Kindern pro Haushalt, nicht aber die familiäre Verbindung zu den Erwachsenen. So fallen Väter durchs Raster, die von ihren Kindern und der Mutter getrennt leben, und Väter, deren Vaterschaft beim Kind nicht eingetragen wurde. Das Berliner Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) geht davon aus, dass etwa jeder fünfte Mann in seinem Leben nicht Vater wird.

Was man genauer kennt, ist die Gefühlslage von Männern, die unfreiwillig kinderlos sind. Sie hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Der einsame Wolf ist out, der Neue Mann trägt Baby. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums, für die zweimal im Abstand von sieben Jahren kinderlose Männer zwischen 20 und 50 befragt wurden, zeigt: 2013 war ein Viertel unfreiwillig ohne Nachwuchs, 2020 ein Drittel. Der Aussage „Kein Kind zu haben, gilt in unserer Gesellschaft als Makel“ stimmten 2020 fast doppelt so viele Befragte zu wie zuvor (39 gegenüber 20 Prozent). Elternschaft prägt inzwischen nicht nur die Identität von Frauen, sondern zunehmend auch von Männern. „Vatersein gehört zum Mannsein dazu“, fanden 2013 50 Prozent der kinderlosen Männer, sieben Jahre später waren es 56 Prozent. 

Bleibt der Nachwuchs aus, kann das bei Männern eine ähnliche Sinnkrise auslösen wie bei Frauen, sagen Ärztinnen und Berater, die Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch helfen. Männer fühlten sich sogar besonders hilflos und litten noch stärker unter der aufgezwungenen Passivität, weil sie sonst gewohnt seien, die Macher zu sein. Zudem fänden Männer zu wenig Ventile für ihren eigenen Kummer. 

So ging es auch Michael. Vor allem, als ihm vergangenes Jahr, wenige Monate nach dem traurigen Ausgang der Schwangerschaft, klar wurde: Das war mehr als ein einmaliger Schicksalsschlag. „Ich saß im Homeoffice, meine Lebensgefährtin auch, und ständig habe ich mit angehört, wie sie zu Kollegen am Telefon sagte: Das war so furchtbar für mich, das will ich nie wieder erleben.“ Michael verzweifelte. „Ich habe irgendwann sogar angefangen, Männer im Bekanntenkreis zu beneiden, die fanden, man habe ihnen ein Kind angehängt. Die bekommen etwas geschenkt, das sie gar nicht wollten, – und ich kann nichts tun, um mir diesen Wunsch zu erfüllen.“

Es war auch der Anfang vom Ende der Partnerschaft. Michael sagt, er habe seine Partnerin stützen, auffangen, ermutigen wollen, aber eben auch selbst eine Perspektive gebraucht. Sie hingegen habe jeden Vorschlag für eine weitere Familienplanung als Druck empfunden, nicht nur die abwegige Idee von der Leihmutterschaft. „Sie hat mir vorgeworfen, es ginge mir gar nicht um sie. Sie fühlte sich von mir behandelt, als wäre ihr Körper eine Maschine, die nur repariert werden muss, um bereit zu sein für die nächste Schwangerschaft.“ Hat er niemals überlegt, seiner Partnerin zuliebe die eigenen Lebensziele zu überdenken? „Ja, aber es führte nirgends hin”, sagt Michael. Er ist nicht religiös, ein naturwissenschaftlich denkender Techniker, aber trotzdem fand er auf einmal die Vorstellung von Seelenwanderung plausibel. Vielleicht würde sich sein Kind einen anderen Körper suchen. Neu anfangen. Zurückkommen.

Die Geschichte von Michael und seiner Partnerin hat kein Happy End, vielleicht noch nicht einmal ein Ende, allenfalls ein vorläufiges. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen haben die Beziehung zerstört, im Streit ist die Liebe auf der Strecke geblieben. „Ich habe den Eindruck, es gibt dabei nur Verlierer. Sie ist traurig, ich bin traurig. Ich frage mich: Habe ich sie im Stich gelassen? Sie mich? Wir uns gegenseitig?“ Einfach loszuziehen und sich eine andere Partnerin zu suchen, wie es ihm manche leichthin raten, ist für Michael keine Option. Eine gemeinsame Geschichte wische man nicht einfach so weg.

Der unfreiwillig Kinderlose ist heute 37. Er könnte sich also mit seinem Kinderwunsch noch Zeit lassen, jedenfalls mehr als eine Frau im gleichen Alter. Noch so eine Unwucht zwischen den Geschlechtern. Aber die Biologie ist das eine, die Psyche das andere. Michael tröstet der Gedanke wenig, dass er vielleicht noch in zwanzig Jahren zeugungsfähig ist. „Selbst wenn ich von heute auf morgen jemanden kennenlernen würde – das dauert ja, bis man sich einig ist, ob man wirklich ein Kind haben will. Und was sollte ich mit einer 25-Jährigen, die völlig andere Interessen und Lebensvorstellungen hat?“

Seine Psychotherapeutin hat ihm geraten, sich mit Dingen zu beschäftigen, die ihm schon früher Freude bereitet haben. Damit er nicht in ein so tiefes Loch falle. Jetzt, wo der Frühling kommt, ist er viel draußen in der Natur, und zu Hause hat er sich eine Ecke für Modellbau eingerichtet. Dort bemalt er kleine Spielfiguren, grundiert sie, verziert sie mit feinen Pinseln. Er hat kein Kind, dem er zeigen könnte, wie das geht. Nur das Kind in ihm darf wieder einmal spielen. Das muss fürs erste reichen.