„Wir sitzen im gleichen Boot und merken es nicht!“

Eltern und Kinderlose sind sich oft nicht grün – ob es um Lautstärke im Café geht oder um die nächste Gehaltsrunde. Susanne Garsoffky und Britta Sembach haben sich mit den tieferen Gründen für diese Spaltung beschäftigt: soziale Kälte, weniger Solidarität und politisches Versagen. Für ELTERN family habe ich im November 2017 mit Susanne Garsoffky gesprochen

 ELTERN FAMILY: Das Eingangskapitel Ihres neuen Buches trägt die Überschrift: Warum Kinder nicht glücklich machen und Kinderlosigkeit nicht frei. Das klingt nach: Wie man’s macht, ist’s falsch….

Susanne Garsoffky: Eine Frau im gebärfähigen Alter kann es niemandem recht machen, das stimmt. Mütter werden gefragt: Warum nur ein Kind? Warum so viele? Warum so spät im Leben oder so früh? Zusätzlich unterstellt man ihnen, dass sie ihre Kinder wahlweise zu viel oder zu wenig behüten. Kinderlose Frauen werden von Wildfremden nach ihren Motiven gefragt, das ist nicht minder übergriffig.

Sie und Ihre Ko-Autorin Britta Sembach sind beide Mütter. Stehen Sie in der Diskussion um Lebensentwürfe damit nicht automatisch auf Seite der Eltern?

Wir respektieren jeden und jede, und wir wollten weder ein Angriffsbuch auf Kinderlose schreiben, noch uns fürs Elternsein rechtfertigen. Es geht uns auch nicht darum, jemanden zum Kinderkriegen zu motivieren. Sondern um die Frage: Wie könnte man ein System schaffen, das für alle gerechter ist, wenn weniger Kinder geboren werden?

Sie schreiben, Politik und Wirtschaft würden Eltern und Kinderlose gegeneinander ausspielen. Das klingt, mit Verlaub, ein wenig nach Verschwörungstheorie….

Nein, es ist höchstens zugespitzt. Seit Ende der Neunziger erleben wir eine politische Neoliberalisierung. Unser Politik- und Wirtschaftssystem richtet sich in erster Linie nach den Bedürfnissen von Arbeitgebern und Unternehmern, und das treibt Menschen mit und ohne Sorgeverpflichtung in Konkurrenz. Die Blaupause für einen idealen Arbeitnehmer ist der von Sorgeverpflichtungen befreite, Vollzeit arbeitende Mann. Wer nicht in dieses Muster passt, wird zwar geduldet, aber eine Karriere ist so kaum möglich.

Und die machen dann Kinderlose auf dem Rücken der Eltern?

So einfach ist es nicht. Denn die Gewinne der letzten Jahre erzielen große Unternehmen in erster Linie durch Personalabbau. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist aber im Gegenteil sehr personalintensiv. Denn einer muss ja auffangen, wenn Eltern Auszeiten nehmen oder kurzfristig ausfallen. Und diese Arbeit wird gleichzeitig auf immer weniger Schultern verteilt. Das trifft besonders die Kinderlosen.

Aber bemühen sich nicht Arbeitgeber in den letzten Jahren vermehrt um mehr Flexibilität für alle? Mit innovativen Arbeitszeitmodellen, Betriebs-Kitas…

In den meisten Fällen ist das nicht mehr als ein schönes Aushängeschild. Unternehmen geben sich modern und aufgeschlossen, aber gleichzeitig wird Angestellten das Gefühl vermittelt: Kinder haben, wunderbar – aber bitte möglichst geräuschlos und so, dass es unseren Betriebsablauf nicht stört. Diese Haltung bekommen übrigens auch Kinderlose zu spüren, etwa, wen sie alternde Eltern zu pflegen haben.

Wenn alle gleichzeitig Verlierer sind – warum begehren sie dann nicht gemeinsam gegen diesen Druck auf?

Der schleichende Verlust von Solidarität betrifft ja die Gesellschaft als Ganzes. Arbeitskämpfe gibt es kaum noch, Gewerkschaften verlieren laufend Mitglieder, weil wir das neoliberale Modell so verinnerlicht haben: Jeder ist nur für sich selbst und seinen Erfolg verantwortlich. Ganz im Interesse der Unternehmerseite. Denn Einzelne sind leichter zu handeln als eine Gruppe, die Forderungen stellt. Man speist Mitarbeiter mit Anti-Stress-Programmen ab, statt Arbeit gerechter zu verteilen.

Aber die Konflikte kochen öffentlich eher hoch, wenn es um Kinderwagenverbote in Cafés geht oder Fahrradanhänger, die den Bürgersteig versperren…

Das ist Symptom, nicht Ursache. Da entlädt sich eine gereizte Stimmung, weil alle ahnen, dass es noch schärfere Verteilungskämpfe geben wird – wenn die heute 50-jährigen in den Ruhestand gehen, wird ein Arbeitnehmer für einen Rentner zahlen müssen!

Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Aber Sie sagen: Auch die Politik befeuert die Konkurrenz zwischen beiden Gruppen.

2003 prägte die damalige Familienministerin Renate Schmidt den Begriff der „nachhaltigen Familienpolitik“. Seither steht „Vereinbarkeit“ als politisches Ziel auf der Agenda, quer durch die Parteienlandschaft. Das bedeutete in der Praxis vor allem: Ausbau der Krippenbetreuung, um beide Elternteile möglichst schnell wieder in Arbeit zu bekommen. Aber das ist weder flächendeckend passiert, noch ist die Betreuung durchgehend von guter Qualität. Von Unternehmen hat die Politik viel zu wenige Zugeständnisse gefordert.

Ist das nicht Schwarzmalerei angesichts jährlich 130 Milliarden familienpolitischer Leistungen?

Das Geld wird nach Gießkannenprinzip verteilt und wiegt nicht auf, was Eltern investieren. Der Sozialrichter Jürgen Borchert hat es so formuliert: „Wir treiben den Familien die Sau vom Hof und geben ihnen nur die Koteletts zurück.“ Allein, wenn man die Energiekosten betrachtet und die Verbrauchssteuern: 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Windeln, dafür nur sieben Prozent auf Tiernahrung! Familiengründung ist ein finanzielles Risiko, nicht nur für Alleinerziehende – wegen des Reallohnverlustes der letzten Jahre können selbst Doppelverdiener in manchen Großstädten kaum noch den Unterhalt für eine Familie aufbringen.

Dagegen argumentieren Kinderlose: Wir halten mit unseren höheren Steuerabgaben das System am Laufen.

Aber Familien sind ja nicht nur Leistungsempfänger, sie sind selbst Steuerzahler! Sie werden also doppelt zur Kasse gebeten.

Und dazu leisten sie gratis, was neudeutsch „Care-Arbeit“ genannt wird – Schulbrote schmieren, Anschwung geben beim Schaukeln. Trotzdem haben viele das Gefühl: Diese Tätigkeiten werden nicht gewürdigt, eher belächelt.

Richtig. Nachrichtenmagazine schreiben süffisant über die „Rückkehr der Hausfrau“ und bezeichnen es als Zeitverschwendung, wenn eine Mutter mit ihrem Baby auf dem Teppich spielt – eine Mutter, wohlgemerkt, die wöchentlich 20 Stunden arbeitet. Fürsorglichkeit ist doch ein Teil der menschlichen Existenz!

Auf der Suche nach den Ursachen für diese soziale Kälte werfen Sie auch einen Blick auf den Feminismus und zitieren die amerikanische Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser: „Der Feminismus ist der Steigbügelhalter der neoliberalen Gesellschaftsordnung.“ Würden Sie denn lieber in den Fünfziger Jahren leben, als pudding-kochende Hausfrau?

Bloß nicht! Meine Ko-Autorin und ich sind wie alle Frauen unseres Alters geprägt durch die zweite Welle des Feminismus in den Sechziger, Siebziger Jahren. Da ging es um Selbstbestimmung, um gesellschaftliche Teilhabe durch Berufstätigkeit. Völlig richtige Forderungen in einer Zeit, in der Frauen um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie einen Job annehmen wollten, und Vergewaltigung in der Ehe straflos blieb. Nur: Die Blaupause der Emanzipation war ein männlicher Lebensentwurf. Von Fürsorgepflichten befreit, unabhängig und erfolgreich. Müsste es heute nicht eher darum gehen, dass Frauen wie Männer beide Seiten leben dürfen, die erfolgsorientierte wie die fürsorgliche?

Das passiert ja, jedenfalls ist die heutige Vätergeneration deutlich engagierter als frühere. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich Männer mit und ohne Kinder weniger als Konkurrenten fühlen. Sind die einfach entspannter als wir Frauen?

Ich würde eher sagen: Sie ducken sich ein bisschen weg. Das Leben der meisten Männer verändert sich doch deutlich weniger, wenn sie Vater werden – anders als bei Frauen. Oder sie schieben die Entscheidung für eine Familie endlos auf. Wenn Frauen nicht Mütter werden, liegt das ja oft auch an der fehlenden Bereitschaft des Partners, Verantwortung und Pflichten zu übernehmen. Das wird gerne übersehen. Stattdessen werden fast ausschließlich Frauen für sinkende Geburtenraten verantwortlich gemacht.

Sie haben zu Anfang von einem System gesprochen, das für Eltern und Kinderlose gleichermaßen gerecht ist. Wie müsste das aussehen?

Zum einen müsste das Modell der umlagefinanzierten Rente familiengerecht umgebaut werden, denn Eltern zahlen doppelt – als Arbeitnehmer für die jetzige Rentnergeneration sowie als Eltern für die Rentenzahler von morgen. Je nach Anzahl der Kinder sollte es eine deutliche Entlastung geben.

Wäre das bezahlbar?

Die gesetzliche Rente müsste stärker steuerfinanziert sein als heute, und man müsste mehr Menschen ins System mit aufnehmen. Auch Beamte und Freiberufler.

Gibt es dafür Mehrheiten, und wenn ja, in welcher Partei?

Die Gerechtigkeitslücke zwischen Menschen mit und ohne Kindern wird durchaus parteiübergreifend gesehen – aber keiner traut sich an das heiße Eisen heran. Weil man Angst hat, Kinderlose könnten das als Schikane erleben. Vor allem diejenigen, die sich nicht freiwillig für diese Lebensform entschieden haben.

Verständlich. Aber auch nicht besonders weitsichtig.

Das Problem der Politik ist, dass sie von älteren für ältere Menschen gemacht wird – schon allein, weil es mehr ältere Wähler gibt als jüngere. Die Lebenswirklichkeit von Familien wird in einer alternden Gesellschaft immer weniger berücksichtigt. Die Herabsetzung des Wahlalters wäre ein Schritt, um dem zumindest etwas entgegenzusetzen.

Und was wäre die Aufgabe der Wirtschaft? Einfach wieder Personal aufstocken klingt zwar schön, aber manches Unternehmen würde damit die eigene Existenzgrundlage gefährden.

Ich würde mir zumindest Ehrlichkeit wünschen. Dass Unternehmen offen zugeben: Wir bieten eigentlich keine Vereinbarkeit. Wer bei uns arbeiten will, muss die und die Bedingungen erfüllen. Dann wären zumindest die Spielregeln klar. Zweitens, und hilfreicher: Arbeitszeitmodelle, die verschiedene Lebensphasen berücksichtigen.

Würden Arbeitszeitkonten nicht einseitig Eltern bevorzugen?

Wenn man Kinder bekommt heißt das ja nicht, dass man die nächsten 40 Jahre nicht mehr belastbar ist. Personalpolitik müsste langfristiger denken: Man ermöglicht Mitarbeitern, zwischendrin Vollgas in der Familie zu geben, denn man weiß: Dann wird er oder sie leistungsbereiter, loyaler und zufriedener zurückkehren. Prioritäten verschieben sich ja laufend, wenn Kinder größer werden. Auch Menschen ohne Sorgeverpflichtung sind ja nicht ihr ganzes Leben lang gleichermaßen leistungsfähig. Vielleicht erwischt sie in der Lebensmitte eine Krise und sie brauchen eine Auszeit, um sich neu zu orientieren. Oder sie rutschen ins Burnout. Eine Personalpolitik, die das berücksichtigt, käme allen zugute. Eltern und Kinderlosen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern.