Bei Frauen ist es Biologie, bei Männern Statistik: Mit Mitte 40 geht die Wahrscheinlichkeit, noch eine Familie zu gründen, gegen Null. Woran liegt es, wenn Männer kinderlos bleiben – und wie setzen sie sich damit auseinander? Das wollte ich genauer wissen und habe im Sommer 2016 für ein ausführliches BRIGITTE-Dossier mit Menschen gesprochen, die es wissen müssen: Kinderwunschberaterinnen, Familiensoziologen, Demographen – und natürlich mit den Männern selbst.
Da steht er dann also, mitten im Leben. Irgendwo zwischen 20jähriger Abiturfeier und 50. Geburtstag. Hat einige Jobs gehabt, Beziehungen und Umzüge hinter sich, möglicherweise auch einen Baum gepflanzt und ein Haus gebaut. Aber dennoch ist da diese Lücke im Lebenslauf. Denn einen Sohn gezeugt, das hat er nicht. Und auch keine Tochter. Vielleicht, weil er nie die Frau getroffen hat, mit der er sich ins Abenteuer stürzen mochte. Vielleicht auch, weil er gewollt hätte, sie aber nicht. Und nun? Hört auch er eine innere Uhr ticken, vielleicht nicht die biologische, sondern die soziale? Weil seine Freunde schon die Abifotos ihrer Kinder auf Instagram stellen und er nicht der letzte Kerl im Sandkasten sein will? Sucht er auf Dating-Portalen nach einer jüngeren Partnerin mit Baby-Sehnsucht? Wie geht es überhaupt Männern, wenn sie realisieren: Vater werde ich nicht mehr?
Wer die Entscheidung für ein Kind immer wieder vor sich herschiebt, für den entscheidet irgendwann das Leben – und zwar abschlägig. Frauen ist das sehr bewusst: Die gelten ab Mitte, Ende 30 als angezählt, ein paar Jahre später als tragische Nietenzieher in der Babylotterie oder als eiskalte Karrierezicken, und ab Mitte 40 macht der Körper irgendwann nicht mehr mit. Egal, ob Schicksal, Biologie oder freiwillige Entscheidung – ganz kalt lässt die K-Frage keine. „Die Möglichkeit, schwanger zu werden, die Auseinandersetzung damit, ist tief im weiblichen Körper verankert“, sagt die Familientherapeutin Petra Thorn, „allein deshalb, weil Frauen durch die Menstruation regelmäßig daran erinnert werden. Dieses körperliche Bewusstsein haben Männer nicht.“ Ach, die Glücklichen. Können sich auch noch entscheiden, wenn sie schon auf Blutdruckpräparate und Gehhilfen angewiesen sind. Social Freezing für Spermien? Kaum ein Thema. Gala-Grazia-Bunte-Fotos von Beckenbauers und Sky Dumonts, die als grauschläfige Opas ihre Neugeborenen in eine Kamera halten, suggerieren: Macht euch keinen Kopf, Männer.
Das ist nicht ganz falsch, aber ein arg geschöntes Bild der Realität, sagt der Soziologe und Demograph Christian Schmitt von der Uni Rostock: „Die Wahrscheinlichkeit, als Mann mit über 42, 43 Jahren erstmals Vater zu werden, liegt bei unter fünf Prozent.“ Wer jetzt kein Kind hat, bekommt wohl keines mehr. Denn zum einen lässt auch die männliche Fruchtbarkeit etwa ab dem 40. Lebensjahr nach, zum anderen ist die Kombination Sugar Daddy und junge, fruchtbare Frau nicht halb so verbreitet, wie man meinen könnte: Der durchschnittliche Altersabstand in Beziehungen, ob mit Trauschein oder ohne, liegt etwa bei drei Jahren. Ex-Fußballer und Wirtschaftskapitäne, die ihre ergraute Ehefrau gegen ein gebärfreudiges Modell eintauschen, sind eine winzige Minderheit.
Auch bei Männern läuft also der Baby-Countdown, es ist ihnen nur weniger bewusst – auch, weil das Umfeld mit ihnen meist gnädiger umgeht als mit kinderlosen Frauen. „Der Wunsch nach Selbstbestimmung wird bei ihnen viel höher gewertet“, sagt die Berliner Autorin und Filmemacherin Sarah Diehl, die selbst keine Kinder hat und auch keine möchte. „Wenn Männer keine Familie gründen, gelten sie in erster Linie als coole, einsame Wölfe mit Mut zur Lücke, nicht als gescheiterte Existenzen.“ Vielleicht müssen sie sich mal einen Spruch anhören wie „Und meine Kinder sollen später deine Rente finanzieren?“ – mehr aber auch nicht. Für ihr Buch über freiwillige Kinderlosigkeit („Die Uhr, die nicht tickt“, Arche Verlag) suchte Sarah Diehl zunächst sowohl weibliche als auch männliche Gesprächspartner, aber die hatten zu dem Thema wenig zu sagen. Nicht nur, weil sie sich weniger rechtfertigen müssen, auch, weil sie glauben: Wenn ich mit 70 den Baby-Blues bekomme, kann ich immer noch.
Wenn also rund ein Viertel aller deutschen Männer dauerhaft kinderlos bleibt – haben die dann schlicht den richtigen Zeitpunkt verpasst? Oder sind das diese Zeugungsstreiker, diese Beziehungs- und Entscheidungsvermeider, die lieber die Golfbag packen als die Wickeltasche? Die Wirklichkeit ist komplizierter: eine Gemengelage aus Job-Gegebenheiten, Geld und Gefühl. Soziologen und Demographen haben zwei Gruppen von Männern ausgemacht, in denen es besonders viele Nicht-Väter gibt: die Abgehängten und die Aufschieber. Die erste Gruppe besteht aus schlecht ausgebildeten Geringverdienern, die wenig Chancen haben auf dem „Partnerschaftsmarkt“, so der kaltherzige Begriff der Sozialwissenschaftler. Der Paketzusteller, der sich von Drei-Monats-Vertrag zu Drei-Monats-Vertrag hangelt, fällt eben eher durchs Raster. Weil die Mehrheit der Frauen heute zwar keinen Familienernährer mehr sucht, aber umgekehrt auch keine Lust hat, die Verantwortung als Hauptverdienerin für Vater, Mutter, Kinder zu wuppen. Die zweite Gruppe entspricht mehr dem Klischee, sagt Familienforscher Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB): karrierebewusst, individualistisch, großstädtisch, ultraflexibel. Mit allen Konsequenzen. Bujard: „Wer in der heißen Phase zwischen 30 und 40 weder partnerschaftlich noch beruflich abgesichert ist, für den ist der Zug irgendwann abgefahren. Sei es, weil der Job unsichere Perspektiven bietet oder häufige Ortswechsel erfordert, sei es, weil es so schwer fällt, sich festzulegen. Wer sich für ein Kind entscheidet, wählt damit in der Regel ja auch partnerschaftliche Treue. Oft fällt auch der Entschluss so spät, dass die Biologie einen Strich durch die Rechnung macht.“
Auf der Gefühlsseite spielt noch etwas anderes eine Rolle: In Sachen Baby-Sehnsucht ticken Männer und Frauen tatsächlich unterschiedlich. „Vereinfacht könnte man sagen: Frauen haben erst einen Kinderwunsch und suchen dann im entsprechenden Alter nach einem Partner, mit dem sie ihn verwirklichen können. Männer entwickeln oft erst einen konkreten Kinderwunsch, wenn sie eine Frau treffen, bei der sie merken: Die ist es, mit der könnte ich mir das vorstellen“, erklärt Claudia Zerle-Elsäßer, die als Soziologin am Deutschen Jugendinstitut zum Thema Familie forscht.
Kommt die Traumfrau und –mutter nicht zur rechten Zeit, kommt stattdessen ein Abschied auf Raten. Eigentlich eine gnädige Laune der Natur. Denn Gefühle wie Trauer, Zweifel und Reue lassen sich häppchenweise besser schlucken. Das brutale Aus durch die Menopause müssen Männer nicht verarbeiten. Angenehm? Ja – aber auch eine verpasste Chance, findet Björn Süfke, Männerberater und Autor (aktuell: „Männer! Erfindet! Euch! Neu!“, Mosaik): „Weil sie das Thema verdrängen und auf die lange Bank schieben, drücken sich kinderlose Männer häufig vor der inneren Auseinandersetzung, vor der Trauerarbeit.“ Das gilt auch für diejenigen, die nie sonderlich an Kindern interessiert waren, glaubt er: „Auch wenn der Schmerz von Mann zu Mann unterschiedlich groß ist: Jede Lebensmöglichkeit, die wir nicht verwirklichen, will betrauert werden.“ Und zwar nicht in kerniger Heldenmanier („Ich stelle mir ein Ultimatum bis 50, dann ist das Thema für mich durch!“), sondern als echte Auseinandersetzung mit Ängsten, Wünschen, Vorstellungen. Um damit abzuschließen und Raum für neues zu schaffen: Wenn ich das Projekt „Familie“ nicht verwirklicht habe – auf welche Weise möchte ich dann fruchtbar sein in meinem Leben? Alternativ-Projekte gibt es genügend: Landhaus renovieren, Buch schreiben, mit dem Kanu sämtliche masurischen Seen befahren. Eine Frage der Sinnstiftung, die übrigens irgendwann alle ereilt – Väter und Nicht-Väter, aber genau so Mütter und Nicht-Mütter. „Das Leben spielt sich immer zwischen den Gegensätzen Stagnation und Generativität ab“, sagt Süfke. „Ob nun jemand gar nicht erst Kinder bekommen hat oder ob einfach die Familienphase vorbei ist und die Kinder aus dem Haus, es stellt sich immer die Frage nach dem nächsten Projekt.“ Einem Projekt, das den Einzelnen ausfüllt, aber auch die Partnerschaft neu beleben kann. In dieser Lebensphase können sich Eltern manchmal sogar eine Scheibe von Kinderlosen abschneiden. Denn im besten Fall haben die schon ein paar Antworten auf Fragen, die sich Eltern erwachsener Kinder gerade erst stellen.
INTERVIEW:
„Die Passivität ist für Männer das Bitterste“
Das Herz sagt ja, die Partnerin sagt ja, der Körper sagt nein: Wie gehen Männer damit um, wenn sich ein Kinderwunsch aus medizinischen Gründen nicht erfüllt? Die Familientherapeutin Petra Thorn aus Mörfelden ist seit über 20 Jahren in der Kinderwunschberatung tätig und hat Bücher zum Thema geschrieben (www.pthorn.de). Sie sagt: Männer leiden nicht weniger als Frauen – sie drücken ihren Schmerz nur anders aus
BRIGITTE: Manche Männer bleiben auch deshalb kinderlos, weil sie spät die passende Partnerin finden und mit zunehmendem Alter die Chancen auf eine Schwangerschaft sinken. Während die Gefühlslage ungewollt kinderloser Frauen aber gut erforscht ist, hat sich die Wissenschaft erst in den letzten Jahren für die beteiligten Männer interessiert. Warum?
Petra Thorn: Zum einen sind Frauen rein körperlich näher dran an den Themen Schwangerschaft und Geburt. Zum anderen dachte man lange Zeit, dass Männer weniger an einem unerfüllten Kinderwunsch leiden. Jüngste Forschungen zeigen aber, dass das nicht stimmt. Sie nehmen sich nur emotional zurück, um sich und ihre Partnerin zu schützen. Und sie haben andere, weniger offensichtliche Bewältigungsstrategien.
Zum Beispiel?
Die Autorinnen einer Studie erwähnen den Fall eines Paares, bei dem die Frau sich nach einer Fehlgeburt traurig in ihr Schlafzimmer zurückzieht, während der Mann anfängt, lautstark die Küche zu renovieren. Die Frau empfindet das als unsensibel, dabei ist es einfach nur ein Weg des Mannes, die Kontrolle über eine Situation zurückzugewinnen, in der er zu Passivität verdammt ist. Denn diese Hilflosigkeit quält Männer besonders. Solche Geschichten kenne ich auch aus meiner Beratungspraxis. Diese Art von Bewältigung ist völlig okay, so lange sie hilft und die Partnerin den Aktionismus nachvollziehen kann.
Während Frauen eher Redebedürfnis haben?
Ja, und damit können Männer häufig schlecht umgehen, weil die Gespräche sich ja oft im Kreis drehen. Ich schlage Paaren deshalb Kinderwunsch-Sprechzeiten vor: eine halbe Stunde, Stunde ist das Thema dran, danach wird das Gespräch beendet.
Gibt es Männer, die mehr unter Kinderlosigkeit leiden als andere?
Der Kulturkreis spielt eine große Rolle, das bestätigen auch aktuelle Studien. So haben Männer in traditionellen Gesellschaften wie Südafrika deutlich mehr daran zu knabbern, wenn sie nicht Vater werden, als in emanzipierten Gesellschaften wie Dänemark. Auch in Beratungsgesprächen bei Paaren mit türkischem Migrationshintergrund merke ich oft, dass dort das Thema stark tabuisiert wird, dass Männer sich sehr schämen und kaum darüber sprechen können.
Macht es einen Unterschied, ob die biologische Ursache beim Mann oder bei der Frau liegt?
Ja. Wenn ein Mann die Diagnose bekommt, dass er nicht zeugungsfähig ist, ist das ein Angriff auf sein eigenes Selbstverständnis. Die meisten holen sich in dem Fall eine zweite Meinung ein, weil sie es nicht glauben können. Denn ihre Sexualität funktioniert ja.
Eine Kinderwunschbehandlung kann die Beziehung sehr belasten. Wie verhindert man, dass die Lieber darunter leidet?
Ich rate: Auf Sicht fahren, immer wieder gemeinsam Grenzen definieren. Wie viele in-vitro-Versuche wollen wir machen? Denken wir über Alternativen wie Adoption nach? Gibt es einen Plan B? Schön ist, wenn Paare mit unerfülltem Kinderwunsch es schaffen, die schmerzliche Lücke anders zu füllen – in dem sie sich gemeinsam ein anderes Lebensprojekt suchen oder auch für andere engagieren. Und die Zeit ist auf ihrer Seite: Aus der Sozialforschung ist bekannt, dass Kinderlose langfristig nicht weniger zufrieden mit ihrem Leben.
NO, BABY: SECHS MÄNNER SPRECHEN KLARTEXT
DER AUFSCHIEBER: Björn, 41, Journalist, Single
Ich habe keine Kinder, weil sich das Thema in den letzten Jahren nicht ergeben hat. Meine Beziehungen waren eher kurz und wechselhaft, vielleicht habe ich mich auch das ein oder andere Mal selbst sabotiert. Denn ich mag das spontane Leben, ich mag meine Freiberuflichkeit, ich mag Abenteuer und Unberechenbarkeit – und das alles verträgt sich schlecht mit einer Familie.
Ich fühle mich dabei etwas unruhig. Vor allem, wenn mir Freunde überzeugend erklären, Vaterwerden sei die größte und schönste Erfahrung, die sie je gemacht haben. Trotz aller Einschränkungen, trotz durchwachter Nächte und kindlicher Wutanfälle. Das stimmt mich nachdenklich. Auch der Tod meines Vaters hat mich ins Grübeln gebracht: Obwohl unser Verhältnis zu Lebzeiten nicht immer einfach war, stand die Familie zusammen, als er starb. Wie wird das bei mir sein, wenn ich keine Kinder bekomme? Gleichzeitig merke ich, dass das Liebes- und Beziehungsleben nicht einfacher wird. Man wird eigener, lässt sich auch nicht mehr so leicht auf einen anderen Menschen ein wie früher. Aber ganz gezielt nach einer Frau mit Kinderwunsch suchen, vielleicht im Internet? Das fände ich entsetzlich unromantisch. Ehrlich, an diesem Punkt bin ich froh, dass ich ein Mann bin und deshalb noch ein bisschen mehr Zeit habe für eine endgültige Entscheidung. Ein Freund von mir ist gerade mit 46 zum ersten Mal begeisterter Papa geworden. Schlaflose Nächte bereitet das Thema mir also nicht – noch nicht.
Status: Vielleicht lieber morgen
DER PRAGMATIKER: Jens, 38, Krankenpfleger, in fester Partnerschaft
Ich habe keine Kinder, weil ich mir Sorgen machen würde um meine Partnerin. Denn in ihrer Familie gibt es eine schwere, genetisch bedingte psychische Erkrankung, und es besteht die Gefahr, dass diese bei einer Schwangerschaft ausbrechen könnte. Dazu kommt, dass sie die letzten Jahre sehr beschäftigt war mit dem Aufbau ihres kleinen Unternehmens. Und meine Arbeit im Schichtbetrieb eines Krankenhauses ist ebenfalls nicht familienfreundlich.
Ich fühle mich dabei die meiste Zeit wohl. Denn es war unsere gemeinsame Entscheidung, und jetzt, da meine Freundin 40 geworden ist, ist das Thema definitiv abgeschlossen. Nur selten habe ich einen melancholischen Moment. Dann schaue ich sie an und denke: Was wäre das wohl für ein Kind gewesen, das wir miteinander gehabt hätten? Ein Leben, wie wir es führen, hat aber auch viele Vorteile: Wir können reisen, unseren Hobbys nachgehen, intensiv Zeit miteinander verbringen. Und auch Phasen von Ruhe und Rückzug sind mir wichtig. Unser Leben ist ja nicht komplett kinderlos, es gibt Nichten, Neffen, den Nachwuchs von Freunden. Manchmal habe ich den Eindruck, für manche Menschen sind Kinder eher ein Programmpunkt im perfekten Lebenslauf, als dass sie ihnen wirklich gerecht werden. Wenn ich das sehe, tut mir das immer sehr Leid.
Status: kein unnötiges Risiko
DER TRAUERARBEITER: Theodor, 52, Agenturchef, verheiratet
Ich habe keine Kinder, weil meine Frau und ich nach mehreren Jahren Kinderwunschbehandlung beschlossen haben, es nicht weiter zu versuchen.
Ich fühle mich dabei manchmal immer noch traurig. Denn ich komme aus einer griechischen Großfamilie, und die Vorstellung von Kindern hat für mich immer ganz selbstverständlich zum Leben gehört. Für meine Frau auch, da waren wir uns sofort einig, als wir uns vor zwölf Jahren kennen und lieben lernten. Als feststand, dass sie auf natürlichem Wege nicht schwanger werden würde, kam das für uns völlig überraschend. Die Kinderwunschbehandlung hat uns beide sehr mitgenommen, auf unterschiedliche Weise. Die Eingriffe sind körperlich belastend, und für mich als Mann war es schwer, ihr das nicht abnehmen zu können. Was mich zusätzlich schockiert hat, war der oft kaltschnäuzige Ton der Fortpflanzungsmediziner. Das war keine Unterstützung. Meine eigene Trauer habe ich häufig mit mir allein abgemacht – typisch Mann. Schließlich haben wir gemeinsam dieses Kapitel abgeschlossen. Und sind als Paar gestärkt daraus hervorgegangen. Manchmal, wenn im Gespräch mit anderen die Frage nach Kindern auftaucht, merke ich, wie uns Leute verstohlen taxieren: An wem liegt’s? Ist er zu alt? Sie die solche egoistischen Konsumtrottel? Aber da stehen wir darüber. Wir genießen unser Leben heute wieder, weil wir frei und unabhängig sind und trotzdem Wege gefunden haben, wie unsere väterliche und mütterliche Seite nicht zu kurz kommt. In den letzten Jahren haben wir einen afghanischen Jungen intensiv begleitet, als Paten. Auch so kann man viel weitergeben
Status: Abschied auf Raten
DER FREIHEITSLIEBENDE: Christian, 54, Tourismusexperte, frisch verliebt
Ich habe keine Kinder, weil das nie zu meinem Lebensentwurf gepasst hat. Ich arbeite in der Tourismusbranche, auch, weil ich immer so unterwegs sein wollte: mit leichtem Gepäck, viel auf Reisen, immer wieder Neustarts. Das hält mich jung und lebendig.
Ich fühle mich dabei wohl. Denn ich habe mich nie wirklich als Vater gesehen. Als ich ganz jung war, hatte das eher ideologische Gründe: Das war die Zeit der Aufrüstungsdebatte in der frühen Achtzigern, und in diese Welt wollte ich kein Kind setzen. Später gab es durchaus romantische Momente, in denen ich dachte: Wow, das ist die Frau, mit der du mal eine Familie haben willst. Zum Beispiel in einer lauschigen Nacht auf einem Segelboot in Mexiko, vor 25 Jahren. Aber das hat nie zu Konsequenzen geführt. Später sind zwei Beziehungen daran gescheitert, dass Frauen sich ein Kind wünschten und ich mich nicht festlegen wollte, zumindest zu dem Zeitpunkt. Seit einiger Zeit bin ich glücklich mit einer Frau, die bereits einen erwachsenen Sohn hat und so alt ist wie ich, damit ist das Thema für mich auch endgültig durch. Wobei wir manchmal Gedankenspiele spielen: Was wäre gewesen, wenn wir uns vor 20 Jahren kennen gelernt hätten? Hätte ich für sie mein umtriebiges Leben aufgegeben? Denn eins bedauere ich schon: Es gibt Erlebnisse, die ich niemals haben werde. Zum Beispiel, dass ich nie mit meinen eigenen Kindern reisen und ihnen die schönsten Ecken der Welt zeigen kann.
Status: Immer unterwegs
DER ENTSPANNTE: Henning, 50, Jurist, verheiratet
Ich habe keine Kinder, weil es einfach nicht passiert ist – vielleicht auch, weil wir nicht mehr die jüngsten waren, als wir uns verliebten. In den ersten Jahren unserer Beziehung haben wir noch verhütet und erst nach unserer Hochzeit damit aufgehört, da war ich 40 und sie 37. Als meine Frau nicht schwanger wurde, haben wir uns aber nicht untersuchen lassen. Denn wir waren uns immer einig: Ein Kind ist herzlich willkommen, aber wenn keines kommt, ist unser Leben auch reich genug.
Ich fühle mich dabei mit mir im Reinen. Denn genau so hat es für uns gestimmt: Dem Schicksal weder auf die Sprünge helfen noch es aktiv vermeiden. Wenn es die Chance gar nicht gegeben hätte, dann würde ich heute vielleicht eher grübeln, ob wir etwas verpasst haben. Der Kinderwunsch stand bei uns aber nie an oberster Stelle, wir hatten immer auch andere Prioritäten. Unsere Berufe, die wir beide als sehr erfüllend und befriedigend empfinden, unsere Partnerschaft selbst. Da wir beide Geschwister mit Kindern haben, gab es auch keinen Druck seitens unserer eigenen Eltern. Enkel hatten sie ja bereits. Wenn meine Frau gegen jede Wahrscheinlichkeit jetzt noch schwanger werden würde, mit 47, dann würde mir das eher Angst machen. Schon allein wegen des medizinischen Risikos für Mutter und Kind. Ob wir befürchten, im Alter allein zu sein? Nicht wirklich. Die Gesellschaft hat sich ja stark verändert, Menschen bleiben länger fit und im Kopf flexibler, Netzwerke werden wichtiger, nicht nur familiäre. Vielleicht ziehen wir ja irgendwann in ein Mehrgenerationenhaus. Ich finde es nämlich sehr schön, Kinder um mich herum zu haben.
Status: Hat nicht sollen sein
DER BONUS-PAPA: Heinz-Willi, 45, Schlosser, verheiratet
Ich habe keine Kinder, weil die Frau, die ich liebe, bereits einen großen Sohn hatte, als wir uns vor 15 Jahren kennen lernten – sie ist sieben Jahre älter als ich und jung Mutter geworden. Wir hätten uns schon noch eigenen Nachwuchs gewünscht, aber da es bei der ersten Geburt große Komplikationen gegeben hatte, rieten die Ärzte ab.
Ich fühle mich dabei zufrieden. Denn es ist zwar traurig, dass unser gemeinsamer Wunsch nach einem Baby sich nicht erfüllt hat, aber trotzdem bin ich ja Vater, auf meine Weise. Das war nicht immer so. Als meine Frau und ich uns kennen lernten, war ihr Sohn in der Pubertät, hat viel Mist gebaut, war auf mich nicht gut zu sprechen. Er lebte auch nicht bei uns, sondern bei seinem Vater. Erst als er schon erwachsen war sind er und ich uns näher gekommen, über die Arbeit. Denn wir sind beide Handwerker, er Zimmermann, ich Schlosser. Nachdem wir gemeinsam zwei Wohnungen renoviert hatten, haben wir gelernt, uns zu schätzen, und gemerkt, dass wir ein gutes Team sein können. Zur gleichen Zeit ist seine Beziehung zu seinem leiblichen Vater ziemlich eingeschlafen. Heute sind wir uns so vertraut, dass es sich für uns beide anfühlt, als wären wir Vater und Sohn. Und die Geschichte geht ja weiter: Er ist mittlerweile Anfang 30 und hat selbst zwei Kinder, für die sind meine Frau und ich einfach die Großeltern. Wenn meine sechsjährige Enkelin zu Besuch kommt, auf mich zu rennt und „Opi, Opi!“ ruft, dann wird mir warm ums Herz – wenn sie mich anstrahlt, vergesse ich alles, was in unserem Familienleben auch schwer war.
Status: Vom Bonus-Papa zum Bonus-Opa