Heimat zu verkaufen

Das weltweite Geschäft mit Wohnraum produziert wenige Sieger auf Konzernseite und massenhaft Verlierer in der Bevölkerung. Für die BRIGITTE-Rubrik „Die Stunde der Frauen“ habe ich im Herbst 2019 UN-Sonderberichterstatterin Leilani Farha porträtiert

Vielleicht muss man mit ihrem Vater beginnen, um Leilani Farhas Geschichte zu erzählen. Einem Bauernjungen aus dem Südlibanon, dessen Familie durch neue Grenzziehungen in den Vierziger Jahren ihre Felder und damit ihre Existenzgrundlage verlor und in Folge nach Kanada auswanderte. „Das hat mich von Kindheit an sensibel gemacht für Fragen nach Zugehörigkeit und der Notwendigkeit, ein Zuhause zu haben“, sagt die studierte Anwältin, Sozialarbeiterin und Anti-Armuts-Aktivistin mit Wohnsitz in Kanadas Hauptstadt Ottawa. Seit 2014 ist sie für die Vereinten Nationen weltweit unterwegs als Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen. Ein Recht, das von Organisationen wie der UN und der europäischen Sozialcharta eingefordert wird, aber längst nicht überall umgesetzt wird. Auch das deutsche Grundgesetz äußert sich nicht explizit.

Heute sind es weniger kriegerische Auseinandersetzungen, die Menschen weltweit um ihr Dach über dem Kopf bangen lassen. Sondern vielmehr Konzerne und ihre Gewinnstrategien. Die „globale Wohnkrise“, wie Farha es nennt, findet ja nicht nur in Weltmetropolen wie London und New York ihren Niederschlag, auch aus ihrer Nachbarschaft hat sie ein Beispiel parat: „Erst letztes Jahr wurde 100 Mietparteien im Viertel Heron Gate erst Modernisierung verweigert, dann gekündigt – hauptsächlich Einwanderern aus Somalia und arabischen Staaten, sprachlich und finanziell benachteiligt. Der Eigentümer, eine große Investment-Firma, wollte die Häuser abreißen und neue, lukrativere Wohnanlagen bauen.“

Typisch Gentrifizierung? Da lacht sie trocken: „Wenn’s das nur wäre!“ Der vegane Bio-Bäcker, das Yogastudio, das sind klischeehafte Feindbilder, die häufig in der Debatte um Verdrängung und Preisexplosion genannt werden, auch in Deutschland. Zu kurz gesprungen, findet Farha. Das wahre Problem seien nicht Kleingewerbetreibende, sondern jene internationalen Fondsgesellschaften, die Städte ausbeuteten wie Goldminen: einfallen, plattmachen, hochziehen, verkaufen. Möglichst ohne störende Mieter mit Ansprüchen. Farha bringt das in Rage: „Gold ist ein verkäufliches Gut – Wohnen ein Menschenrecht!“ Deshalb tourt sie unermüdlich durch die Metropolen, trifft sich mal mit dem Bürgermeister von Berlin und mal mit Menschenrechtsaktivisten in Seoul, mit Architekten, Stadtplanern und Vertretern der Finanzindustrie, um für Gesetze zu werben, die auch sozial Schwächeren ein Großstadt-Zuhause ermöglichen. Name ihrer Initiative: The Shift, die Verschiebung. Druck soll Gegendruck erzeugen. Erste Erfolge gibt es etwa in Barcelona, wo sich die Politik gegen die Verdrängung von Mietern zugunsten von lukrativen Ferienappartements zu wehren beginnt. Hier zeigt die Sharing-Economy ihr böses Gesicht.

Deutschland stellt die Vielfliegerin ein optimistisches Zeugnis aus: „Die kreativen Mieterproteste und Lösungsansätze in Städten wie Berlin und Frankfurt machen mir Hoffnung – das könnte zum Modell für andere Länder werden.“ Dass sie und ihre Familie fast per Zufall auf der Gewinnerseite des weltweiten Betongold-Booms stehen, irritiert sie dagegen nachhaltig: „Das Haus, in dem wir leben, ist heute doppelt so viel wert wie vor zwölf Jahren. Wir wären also nicht mehr in der Lage, es zu kaufen – zwei gut verdienende, gebildete Menschen aus der Mittelschicht. Das ist doch absurd!“ Und so kämpft sie weiter einen Kampf, der sich nur vordergründig um Klingelschilder, Hausgemeinschaften und funktionierende Heizungen dreht – im Grunde aber um die Frage, ob Städte auch künftig Lebensraum für eine bunt gemischte Gesellschaft bieten. Oder sich in Geschäftsmodelle für wenige Wohlhabende verwandeln.

INFO

Leilani Farha macht ein Geheimnis aus ihrem Alter: „Ich habe zwei Teeangerkinder und bin nicht besonders jung Mutter geworden – reicht das?“ Im Dokumentarfilm „Push – für das Grundrecht auf Wohnen“ geht die UN-Sonderberichterstatterin der internationalen Immobilienkrise nach (ab 18.10. als DVD/VoD)