Entgiftet euch!

Von der missglückten Kurzliebe bis zum Nicht-ganz-so-Traumjob: vieles, was früher „blöd gelaufen“ hieß, heißt heute „toxisch“. In der BRIGITTE-Rubrik „Geht das nur mir so“ habe ich mich Anfang Februar 2022 über den steilen Aufstieg eines giftigen Wörtchens gewundert, das nur selten wirklich passt

Es gibt Begriffe, die kommen aus der Nische und machen innerhalb kürzester Zeit Karriere. Zum Beispiel vom Teenagersprech zum Business-Slang. Da schmettert dann ein Vertriebler dem anderen bei der Präsentation der Quartalszahlen ein launiges „Läuft bei dir!“ entgegen. Das finden Teenager natürlich voll cringe und canceln den Ausdruck, sprich: Sie sagen das dann nie wieder. Es geht aber auch anders herum. Auch wenn Jugendliche mit Wörtern um sich schmeißen, die man bislang eher aus dem Psycho- und Therapiekontext kannte, weiß man, dass sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Etwa, wenn ich mich bei meiner Tochter, 16, nach dem Beziehungsstatus ihrer besten Freundin erkundige und erfahre, dass es schon wieder aus ist mit der Flamme von neulich: „Das war nix, der war toxisch.“

Das ist auf den ersten Blick ganz lustig, weil es eine Drei-Wochen-Romanze verbal zu einem Lars-von-Trier-Trauerstück hochjazzt. Wahrscheinlich konnten sich die beiden Lovebirds einfach nicht auf die richtige Playlist einigen, eine*r hat siebzehn Minuten lang nicht auf eine WhatsApp des anderen reagiert oder sein neues TikTok nicht genügend geliked. Aber als ich meine Tochter so lässig dieses Wort benutzen hörte, das ich bisher eher aus Gesprächen über langjährige Ehen kannte, dachte ich auch: Irgendwas läuft hier falsch, vong Sprache her. Kurzzeitliebe, missglückt? Toxisch! Der neue Job, der sich als unerwartet stressig, unbefriedigend, schlecht bezahlt entpuppt? Toxisch! Genau so wie die anstrengende Freundin, die zu leicht ein Wort in den falschen Hals bekommt, der stoffelige Chef, die übergriffige Schwiegermutter.

Ich will gar nicht bestreiten, dass es Umstände und Beziehungen gibt, die im wahrsten Sinn des trendigen Wortes das Leben vergiften können, lähmen, Magenschmerzen bereiten. Spätestens, wenn seelische Grausamkeit im Spiel ist oder gar körperliche Gewalt. Wenn der Begriff irgendwo passt, dann da. Ich habe auch nichts gegen Anglizismen. Dem Wörtchen toxisch hört man seine schleichende Übernahme aus dem amerikanischen Englisch ja nicht einmal an, weil’s im Deutschen dasselbe Fremdwort gibt. Ich fände es nur besser, wenn man es nicht so inflationär gebrauchen würde. 

Denn zum einen tut ein wenig Detox immer auch der Sprache gut. Zum anderen ist es, wenn man’s genau nimmt, ein ganz schön harter Vorwurf, der da so nebenbei formuliert wird: Du Täter, ich Opfer. Du Giftspritze, ich hilflos vergiftet. Dabei gibt es in den allermeisten Beziehungen mehr Grautöne als Schwarzweiß, egal ob privat oder nicht. Wenn eine Liebe scheitert (ich meine nicht die Drei-Wochen-Teenagerknutscherei), liegt das möglicherweise eher an fehlender Kommunikation, ungestillten Sehnsüchten, unterschiedlichen Lebensvorstellungen, als daran, dass eine Seite der anderen über Jahre heimtückisch den Giftzahn in den Hals gerammt hat. Und beim Streit mit Kollegen vorschnell die Karte „toxische Männlichkeit“ zu ziehen, ist ungefähr so differenziert, wie wenn die Kollegen Konflikte mit weiblichen Team-Mitgliedern reflexhaft auf deren Menstruationszyklus schieben („Die hat doch bloß PMS.“) Außerdem ist es unfair denen gegenüber, die tatsächlich in einem Arbeitsumfeld tätig sind, in dem es zugeht wie bei Mad Men 1965. Oder in der „Bild“-Redaktion 2021 unter Julian Reichelt. Die haben nämlich wirklich Grund, sich über eine toxische Atmosphäre zu beklagen.

Alle anderen, die ihrem Gegenüber vorschnell das Label „toxisch“ auf die Stirn kleben, machen es sich also ganz schön einfach, und ziehen sich gleichzeitig aus der Verantwortung: „Ich bin nur das Opfer der Umstände!“ Uncooler Move. Oder, wie mein Dreizehnjähriger neuerdings ständig sagt: echt ranzig. Bleibt nur eine Hoffnung: dass die steile Karriere des Wortes „toxisch“ nicht allzu lange währt. Schließlich sagt auch niemand mehr oberaffentittengeil, etwa seit 1987. Besser ist das.