Hüttenzauber in der eigenen Stube, Kälbchentaufe im Stall und Einkehrschwung im Top-Skigebiet: Winterurlaub auf dem Bauernhof ist eine Traumkombi für Familien, in denen jeder eine andere Vorstellung hat von einer perfekten Woche im Schnee. 2012 haben mein Mann, meine Kinder (damals sechs und drei) und ich es ausprobiert, darüber geschrieben habe ich in der ELTERN family
„Psst!“ flüstert Henri durchdringend in mein linkes Ohr. Ich blinzle schlaftrunken in mein Daunenkissen, dann zum Fenster in der Dachschräge. Finster ist es. Nur die Sterne sind weg, die vor ein paar Stunden noch so nah schienen, als könnten sie gleich in unser hölzernes Bauernbett plumpsen. Der aufgeregte Atem meines Sohnes streift meine Wange. „Psst!“ flüstert er noch lauter, „die Tiere schlafen.“ Da hat er höchstwahrscheinlich Recht. Dafür ist Mama jetzt hellwach. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lässt.
Stille. Ungefähr zehn Sekunden lang. „Mama?“ „Grmpf?“ „Mama, hat Lotta schon ein Ei gelegt?“ „Nein, Henri, die schläft auch noch.“ Henri stupst mir stumm das geschnitzte Eierkörbchen in die Rippen. Ich verstehe. Ich kapituliere. Denn hier, auf dem Mudlerhof im Gsieser Tal, ist jeder Tag ein bisschen wie Weihnachten: Spätestens um halb sieben sitzen Henri (3 1/2) und Helen (6) senkrecht im Bett, weil sie es nicht erwarten können, in den Stall zu kommen. Jede Ferienwohnung hat eine private Eierlieferantin. Und was gibt es Schöneres, als morgens das noch körperwarme Ei aus der strohgepolsterten Legebox zu nehmen und im Triumphmarsch zum Frühstückstisch zu bringen? Da müssen eben auch die Großen mit den Hühnern aufstehen. Und mit Franz, dem Hahn.
Die Vorstellungen vom Ausschlafen im Urlaub mögen in unserer Familie ein wenig auseinander gehen. Aber sonst ist dieser Südtiroler Milchbauernhof aus dem 18. Jahrhundert mit unserer kuscheligen Ferienwohnung in der ehemaligen Brotkammer ein Sechser im Lotto. Denn er hat alles, was wir zum Winterglück brauchen. Während Helen endlich mal auf Skiern stehen will, reicht für Henri auch der Schlittenhang hinter dem Haus, Hauptsache, es gibt immer genügend Tiere: Stubenkatze und Stallkatze, Küken und Kühe. Und während ich von sonnigen Carving-Hängen träume, schlägt das Herz meines Mannes Dierk für mittelalterliche Burgen und Weinkeller. Aber warum Kompromisse machen, wenn man alles haben kann: am Morgen im Stall den Hasen die Ohren kraulen, am Nachmittag kilometerlange Pisten, abends den leckeren Lagreiner Rotwein auf der Eckbank im Herrgottswinkel? Das alles in einem stillen Seitental Südtirols, mit schneebedeckten Kiefern- und Lärchenwäldern, trutzigen Burgruinen und kleinen Dörfern. Fernab von hochglanzpolierten Après-Ski-Bars und Boutiquen-Bling-Bling, aber dank guter Verkehrsanbindung nur eine dreiviertel Stunde vom vielfältigen Skigebiet Kronplatz entfernt (siehe Kasten S. x).
Natürlich gehört zu einem so zünftigen Winterurlaub auch eine zünftige Urlaubsliebe. Helen hat ihre im Sturm erobert: die Bäuerin Agatha, eine zupackende und äußerst herzliche Person von Mitte 50. Die hat selbst zwei Söhne und eine Tochter großgezogen, lange Jahre als Grundschullehrerin gearbeitet, und eine geradezu magnetische Wirkung auf Kinder. Wenn Agatha auftaucht, gibt es immer etwas Tolles zu tun. Die Füllung für „Tirtlan“ anrühren, das typische Südtiroler Schmalzgebäck. Oder aus der hofeigenen Milch kleine Käsestücke in Herzform herstellen. Oder, besonders verantwortungsvoll: einen Namen finden für ein neugeborenes Kälbchen. Während unserer Urlaubstage kommen gleich zwei zur Welt, und Helen nimmt die Aufgabe ähnlich ernst wie werdende Elternpaare. Schließlich wird der kleine gescheckte Stier John genannt, die braune Minikuh Ada. Dass die meisten Hühner und Kühe heißen wie aus der aktuellen Top-Ten-Liste der Kindervornamen, ist übrigens kein Wunder: Lotta, Emma und Lisa haben gleichnamige Taufpatinnen.
Schon bald bekommt Helens Urlaubsliebe jedoch harte Konkurrenz. Er heißt Stefan, hat ein freundliches sonnengegerbtes Gesicht und ist, jawoll: Skilehrer. Noch dazu ein ganz exklusiver: Für kleine Greenhorns wie unsere Tochter kann man in der Skischule vom Nachbardorf St. Magdalena den Chef persönlich für eine Schnupperstunde mieten. Und so kurvt Helen bald im Schneepflug ihre ersten Meter Hang hinunter und juchzt halb begeistert, halb ängstlich, wenn sich Stefan erst seine Schülerin und dann den Teller des altmodischen Liftes zwischen die Beine klemmt. Bei dem Anblick muss ich an meine eigenen ersten Schwungversuche in den 70er Jahren im Schwarzwald denken. St. Magdalena, das ist: ein einziger Hang, ein einziger Lift, und direkt neben dem Skischulbüro am Fuße des Hügels kräht ein Langschläferhahn auf dem Mist. Sehr zu Henris Freude. Währenddessen bringe ich auf dem Übungshang meine eingerosteten Oberschenkel wieder in Schwung. Auf halber Strecke saust eine Armada von bunt gekleideten Zwergen an mir vorbei, die aussehen, als hätten sie das Carven vor dem Laufen gelernt. Haben sie wahrscheinlich auch. Wer hier groß wird, kennt schon im Kindergarten jeden Berg beim Vornamen.
Damit Papa Dierk nicht noch einen zweiten Tag mit Henri Hühner am Hang jagen muss, haben unsere Bauersleute eine Überraschung in petto: Wintersport für Skiverweigerer! Auf unserer Wandertour am nächsten Tag werden die Schneeschuhe eingepackt, und los geht’s ab dem Lift in St. Magdalena, einen gewundenen Weg bergauf durch den Winterwald. Die Kinder dürfen auf dem Schlitten sitzen, nur an den steilsten Stellen müssen sie ein paar Meter laufen. Aber Agatha weiß, wie man meckernde Flachlandtiroler bei Laune hält: mit Märchen. Von der Superhenne Mina, die bunt sein wollte wie ein Blumenstrauß, und von dem Königssohn und der Mondprinzessin, die erst miteinander leben konnten, als die Dolomiten ihre bleiche Mondlichtfarbe bekamen. Dass der Weg sich gelohnt hat, darüber sind wir uns spätestens einig, als wir auf fast 2000 Metern an der sonnendurchwärmten Holzwand der „Ascht-Alm“-Terrasse sitzen und Hubi vor uns steht. Der Hüttenwirt sieht beinahe aus wie eines der männlichen Models aus der Fremdenverkehrswerbung, und kochen kann er auch noch: Polenta oder Speckknödelsuppe, Hollerschorle oder Helles, man kann sich kaum entscheiden. Irgendwann kommt Töchterchen Laura (3) aus der Wirtsstube gestapft, ganz cool im Fleecepullover, und zeigt ihr Kinder-Karaoke-Set. Während sie mit Henri und Helen die Hütten-Hits der nächsten Saison einübt, bereiten Dierk und ich uns seelisch auf die Schlittenpartie ins Tal vor und genießen den Bergblick vor der Nase. Den haben wir zu Hause in Hamburg eher nicht so.
Was wir auch nicht haben, sind Burgen. Sehr zum Leidwesen meines Liebsten, der seit seiner Grundschulzeit vom Mittelalter-Virus befallen ist. Ich hab’s zwar nicht so mit Rittern & Co., aber mit diesem Ausflugsziel kann Dierk uns alle ködern: Die Kleinstadt Bruneck, mit dem 2011 eröffneten „Messner Mountain Museum“ in der Burganlage aus dem 13. Jahrhundert. Der Südtiroler Ausnahmebergsteiger Reinhold Messner hat dort eine überwältigende Sammlung zusammengetragen, die das Leben von Bergvölkern aus aller Welt dokumentiert: von der bulgarischen Hochzeitstracht bis zum Tiroler Butterstempel, von der Wasserschale aus dem Wadi Rum bis zur Götterfigur aus dem Himalaja. Und zwar nicht hinter Glas und Absperrseilen ausgestellt, sondern zum Erleben und nah Rangehen. In Nullkommanix haben Helen und Henri eine mongolische Jurte erobert, während ich mich wundere, wie gut buddhistische Gebetsfahnen und trutzige Burgmauern zusammen aussehen.
Und noch etwas hat Bruneck: eine schnuckelige Flaniermeile mit südländischem Flair, gesäumt von zwei mittelalterlichen Stadttoren. In den Bars sitzen blondierte Frauen vor ihrem Nachmittags-Prosecco, in den Boutiquen gibt’s italienische Wintermode von Stefanel und Max & Co, und auf einmal spürt man, dass Südtirol genau so nah an Venedig ist wie am Brenner. Jetzt eine wagenradgroße Angebersonnenbrille aufsetzen und ab ins Straßencafé! Aber daraus wird leider nichts. Helen und Henri haben noch ein Date: Um 17 Uhr im Kuhstall, mit Bauer Peter, zum Melken. Und vielleicht auch noch mal eine Runde mit dem Rutschbike auf den Schlittenhang, und dann muss ja auch noch mal jemand nach den Hühnern sehen. Tja. So ist das eben, wenn man im Urlaub alles haben kann.
Tipp: Der Mudlerhof (www.mudlerhof.it, Tel. **39/0474/978446) gehört zur Südtiroler Urlaubs-Bauernhofsvereinigung „Roter Hahn“ (www.roterhahn.it) und ist dort als besonders kinderfreundlich ausgezeichnet. Ferienwohnungen für 4-5 Personen, auf Wunsch auch mit Frühstück buchbar.