Interview mit Karoline Herfurth: „Macht Kinder stark für das Leben!“

Was für eine schöne Kinderbuchverfilmung: „Rico, Oscar und die Tieferschatten“ hob sich wirklich positiv vom grellen Marketing-Buhei anderer Kinderfilme ab. Zum Filmstart im Juli 2014 durfte ich dazu fürs ELTERN-Magazin Karoline Herfurth in einem Berliner Hotel treffen und war gleich zweifach fasziniert: zum einen von der fast unwirklichen Schönheit dieser Frau, und zum zweiten von ihrer Professionalität. Denn obwohl Karoline Herfurth kein Wort über ihr Privatleben verliert, hat sie doch einige Einblicke in ihre Seele gestattet. Schade, dass ich nur einen 45-Minuten-Slot hatte!

 ELTERN: In Ihrem neuen Film spielen Sie eine junge Alleinerziehende, die ihre Aufgabe ziemlich locker nimmt: Lässt den zehnjährigen Rico nachts allein, um in einem Striplokal zu arbeiten, schickt ihn zum Lebensmittel einkaufen und geht derweil mit einer Freundin shoppen. Ist Ihnen diese Frau eigentlich sympathisch?

Karoline Herfurth: Ich finde sie sehr erfrischend. Denn bei aller Lässigkeit merkt man, dass sie ihren Sohn wahnsinnig liebt. Sie traut ihm eine Menge zu, obwohl er nicht der Hellste ist, er bezeichnet sich ja selbst als „tiefbegabtes“ Kind. Und wenn es Schwierigkeiten gibt, stellt sie nie ihn in Frage, sondern immer die Welt um ihn herum. Da wird sie zur Löwenmutter. Dass sie sich dazu noch eigene Freiheiten nimmt, statt alles dem Kind unterzuordnen – das sind doch ganz gute Zutaten für eine Mama.

Hört sich fast so an, als würden Kinder heute zu sehr in Watte gepackt.

Eine sehr kluge Frau hat mal zu mir gesagt: „Man soll Kindern keine Lederstraße bauen, sondern ihnen Lederschuhe nähen“ – sie also nicht vor dem Leben da draußen beschützen, sondern im Gegenteil sie dafür ausrüsten und stark machen. Das finde ich sehr bedenkenswert. Außerdem ist die Mutter im Film zwar Single, aber nicht allein. Denn da ist auch noch die Hausgemeinschaft, Menschen, die alle zusammen ein Auge auf Rico haben. Wie ein Dorf, wie eine Großfamilie, die nicht nur aus Blutsverwandten besteht. Das erinnert mich an meine eigene Kindheit.

Erzählen Sie mal!

Ich bin selbst in einer großen Patchworkfamilie mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Mein Vater hat nach dem Mauerfall in Ostberlin so ein altes Mietshaus saniert und selbst ausgebaut, das war sehr ähnlich wie das im Film. Unten im Haus haben sie einen Kinderladen gegründet, auf jedem Stockwerk gab es Spielkameraden, meine beste Freundin wohnte gegenüber. Da war so ein Gefühl: Wir gehören alle zusammen und passen aufeinander auf.

Aber nicht ständig und überall…

Nein, ich habe das Gefühl Kindern wurde damals mehr zugetraut. Ich hatte als Grundschülerin eine Stunde Schulweg mit der Straßenbahn, meine Freundin nahm ihre kleine Schwester mit in die erste Klasse, ohne dass jemand uns begleitet hätte. Das war völlig normal. Ich erinnere mich auch gut an die langen Nachmittage im Prenzlauer Berg, der ja damals überhaupt noch nicht schick war. Wir sind über die Plätze gestromert, auf Dächern herumgeklettert….

Da hat sich ja viel geändert, nicht nur im Prenzlauer Berg. Kinder werden heute sehr viel mehr beobachtet, stehen mehr im Mittelpunkt.

Ja, auf Müttern, auf Eltern generell, lastet heute ein großer Perfektionsdruck. Ein Leistungsanspruch. Dabei haben wir haben ja in Deutschland heute zum Großteil gute Voraussetzungen, um ein Kind gut großzuziehen. Ich glaube nicht an die perfekte Kindheit, wichtig ist nur, Kind sein zu dürfen und sich geliebt zu fühlen. Ich glaube, Kinder brauchen das gar nicht, so wahnsinnig beschützt zu werden. Viel wichtiger ist, dass sie spüren: Die Großen haben Vertrauen in meine Fähigkeiten.

Haben Eltern zu viel Angst?

Ich glaube, zu viel Angst lähmt die Kinder. Ich bin zum Beispiel ein Mensch, der keine Angst davor hat, Fehler zu machen. Wenn etwas schiefläuft, na und, dann probiere ich es eben noch mal. Das verdanke ich meinen Eltern, denn sie haben mir immer zugetraut, dass ich meinen Weg schon machen würde. Weniger feste Erwartungen an Kinder, aber auch an sich selbst – ich glaube das würde den meisten Menschen guttun. An zu vielen Idealbildern im Kopf kann man ja nur scheitern.

Was haben Sie für sich noch aus Ihrer Kindheit mitgenommen?

Das Leben war wild, bunt, chaotisch, und das hat mich gestärkt. Mir beigebracht, mich in immer neuen Situationen rasch zurechtzufinden. Vor allem aber ist mir eine ganz starke Gemeinschaft in Erinnerung geblieben. Diese große Selbstverständlichkeit, über die Familie hinaus enge Verbindungen zu knüpfen. Das gibt einem Kind eine ganz andere Kraft, weil sich die Last der Erziehung auf mehrere Schultern verteilt. Bis heute habe ich diesen großen, warmen Pool von Menschen, die mir nahe stehen. Das habe ich immer als sehr reich empfunden.

Aber es muss doch vieles stimmen, damit ein Kind in einer Patchworkfamilie so glücklich aufwächst. Zum Beispiel, dass die Eltern trotzdem gemeinsam Verantwortung übernehmen, dass es wenig Eifersucht gibt…

Na klar muss viel stimmen, damit alle glücklich sind – aber muss es das in der klassischen Otto-Normal-Familie nicht genau so? Man kann doch unterschiedliche Modelle bauen, die das Leben mit Kindern tragen. Das kann im Kleinen funktionieren wie im Großen.

Als Kind der 80er Jahre gehören Sie zur „Generation Scheidungskind“. Es gibt Wissenschaftler, die sagen: Die Sehnsucht nach Beständigkeit, nach eigener Familie, nach Verbindlichkeit, wächst wieder, weil Menschen um die 30 da ein Nachholbedürfnis haben. Glauben Sie das auch?

Ich finde das zu simpel, solche gesellschaftlichen Trends aus der Kindheit her zu erklären. Mein Gefühl ist eher: Früher wurde die Vielfalt der Lebensformen erkämpft, heute kann sich jeder aussuchen, was ihm passt. Mein Traum zur Zeit wäre ein Häuschen im Grünen, vielleicht ein alter Bauernhof, denn ich war als Kind auch jedes Wochenende auf dem Land. Als Ergänzung zum Großstadtleben in Berlin. Das wäre für mich das beste aus beiden Welten. So stellt sich jeder das eigene Lebensmodell zusammen.

Das heißt, die klassische Familie, in der Papa Vollzeit arbeitet und Mama erst einmal zu Hause bleibt, ist einfach eine Option unter vielen?

Genau, ein solches Leben ist ja heute nicht mehr unausweichlich, das wählt man. Obwohl die Strukturen in Politik und Gesellschaft das konservative Modell schon befördern. Zum Beispiel, dass Frauen länger in Elternzeit gehen, weil der Mann der Hauptverdiener ist und man auf dessen Gehalt schlecht verzichten kann. Oder, wenn man sich Studien anschaut, wie ungerecht Hausarbeit bei Paaren mit Kindern verteilt ist nach wie vor – das ist schon krass.

Wer ist da gefragt – die Politik, oder die Köpfe der Menschen?

Das ist ein Zusammenspiel von beiden. Vor allem wenn es um Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, finde ich: Das muss dringend eine Elterndiskussion werden, nicht nur eine Mütterdiskussion, es geht doch schließlich auch um die Männer. Häufig bin ich ganz vor den Kopf gestoßen, wie über dieses Thema öffentlich geredet wird, denn das kenne ich aus meiner DDR-Herkunft anders. Mein Vater war ganz selbstverständlich an Hausarbeit und Erziehung beteiligt!

Sie reden offen über Ihre eigene Kindheit, über Ihre Ansichten zum Familienleben, aber Ihr aktuelles Privatleben schirmen Sie konsequent ab. Das persönlichste, das man auf Ihrer Facebook-Seite zu sehen bekommt, ist ein Weihnachtsbraten im Ofen. Warum?

Wenn man als Schauspielerin in der Öffentlichkeit steht, hat man nur zwei Optionen: die Tür ganz auf machen, oder ganz zu lassen. Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Auch, weil ich vor der Kamera gerne immer wieder in neue Rollen schlüpfe und Projektionsfläche für andere bin. Dass der Privatmensch Karoline Herfurth dahinter verschwindet, ist mir nur recht.

Die Frage nach Öffentlichkeit wird heute ja auch für Normalos immer wichtiger: In Social Networks kann jeder versuchen, zum Star zu werden.

Ich glaube, viele Leute machen sich keinen Begriff davon, wie transparent sie sich machen. Und dass das Netz kein kuscheliger, wohliger Ort ist. Ich würde jedem empfehlen, mal an einen belebten Ort zu gehen, zum Beispiel an den Alexanderplatz oder auf den Kudamm, sich ein paar hundert Leute anschauen, die da vorbeikommen und überlegen: Will ich wirklich, dass diese Menschen mein Baby ohne Windeln sehen? Und komme ich mit dem Feedback klar? Wer damit kein Problem hat, soll das ruhig tun. Sonst kann man das ja ganz gut dosieren, im dem man private Einträge nur in geschlossenen Gruppen teilt.

Können Sie diesen Drang nach Öffentlichkeit eigentlich verstehen?

Ich glaube, dahinter steckt einfach die Sehnsucht, gesehen und wahrgenommen zu werden. Die kann ich nachfühlen. Aber das kann kein Social Network der Welt leisten.