Ich muss gar nichts!

„Ich muss gar nichts“ hieß das Dossier, das die BRIGITTE im Juli 2018 veröffentlichte. Das fand ich gut, da hatte ich auch etwas beizutragen: Warum bei einem Rennen mitlaufen, das man ohnehin nicht gewinnen kann? Hier ist mein Beitrag, den die BRIGITTE in einer leicht gekürzten Version veröffentlichte.

Mein Gesicht kann etwas Neues. Letzte Woche habe ich es entdeckt, vor dem Badezimmerspiegel im Büro: Wenn ich lache, wirft die Haut unter meiner Nase eine Querfalte. Die war da vorher nicht. Mein Mann amüsiert sich: Schau lieber zu Hause in den Spiegel, der ist schlechter beleuchtet! Dabei macht die Falte mich eher neugierig: Körper, alter Freund, was hast du noch für Tricks auf Lager? Nächstes Jahr werde ich 50, da feiern mein Körper und ich goldene Hochzeit. Eine Zweckverbindung – wir können nun mal nicht ohne einander leben -, aber liebevoller denn je. Das ist eine schlechte Nachricht für den Fachverband der ästhetisch-plastischen-Chirurgie und für die Entwickler von „zehn Kilo in drei Tagen“-Apps. Für mich ist es eine gute.

Ich war mal jünger, dünner und faltenfreier, klar. Aber ausgerechnet damals war das anders. Da blickte ich in den Spiegel, als stände ich vor dem Türsteher eines hippen Clubs. Bin ich schön? Mein innerer Berghain-Mannes rollte ironisch mit den Augen: Ernsthaft? Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier reinlasse! Ich dachte damals, ich muss mich nur genügend bemühen, dann geht irgendwann die Tür auf. Und dahinter spielt das wahre Leben. Weil schönere Menschen das Anrecht haben auf größere Gefühle, Leidenschaft, Drama. Weil sie sogar dann besser aussehen, wenn sie am Küchentisch weinen. Dafür strampelte ich mich ab, in jeder Hinsicht: mit Sport, der mir keinen Spaß machte, Fastenkuren, die mich langsam im Kopf machten, Frisuren, für die ich morgens eine Stunde früher aufstehen musste. Das fraß so viel Energie, dass ich ansonsten auf kleinerer Flamme kochte: ein Leben mit handlichen Gefühlen, erreichbaren Träumen, lauwarmen Beziehungen.

Aber Beauty ist ein Biest, Schönheit ist relativ. Egal wie man sich bemüht, irgendwo ist immer jemand mit einem strafferen Bauch und längeren Beinen, mit mehr Haar und größeren Augen. Daneben ich: Mittelgroß, mittelschlank, mittelblond. Hübscher Mund, hässliche Füße. So weit, so normal. Keine Frau, die Blicke auf sich zieht, wenn sie den Raum betritt. Ein Rennen, das ich nicht gewinnen konnte. Irgendwann dachte ich mir: Was für eine gigantische Verschwendung. Ich hatte vergeblich versucht, mich fremden Bildern anzupassen. Von da an machte ich mir die Bilder passend. Ließ meine Haare an der Luft trocknen, verlangte von Klamotten, dass sie mich auch in Größe 40/42 gut aussehen ließen, ging nur noch zum Sport, wenn ich Lust hatte. Sah meinen Körper nicht mehr als ewigen Low-Performer, sondern als prima Wohnung für mich und meine Gedanken. Plötzlich, zack, ging die Tür auf und machte Platz für das, was mir wichtig war. Bücher schreiben, eine Zeitlang im Ausland leben, große Liebesgeschichten, eine eigene Familie. Mein Schminktäschchen behielt ich. Aber das angestrengte Schaulaufen anderer betrachtete ich künftig, wie ich heute manchmal Model-Castingshows sehe: als seltsames Spiel, bei dem ich weder mitspielen muss noch will.

Manchmal kommt das Gute, wenn man aufhört, zu warten. Pickel bis Mitte 20, dafür vergleichsweise glatte Gesichtshaut mit Ende 40. Feine Haare, die früher nicht für Big Hair-Frisuren taugten, aber heute noch kaum grau sind. Danke, nettes Geschenk, aber wäre nicht nötig gewesen. Ich bin ja raus aus dem Rennen. Dagegen beobachte ich, wie Freundinnen und Kolleginnen an die Startblöcke gehen: plötzlich nur noch Low-Carb oder Clean Eating, antrainieren gegen die Schwerkraft, oder sogar anoperieren. Ist ja heute alles minimalinvasiv und unblutig: Fadenlifting, Mikrodermabrasion, Mikroneedling. Kann man machen. Tut mir aber Leid. Dieser verzweifelte Versuch, an einem Oldtimer herumzuschrauben, bis er fast aussieht wie ein Sportflitzer. Aber eben nur fast. Letztlich sind wir doch alle gleich, egal, welches Los uns die Gen-Lotterie zuteilt, ob wir eher früher oder eher später die Nase vorn haben: Wir enden als alte Frauen, mit dünnem Haar und hängender Haut. Das Rennen kann keine gewinnen. Irgendwann ist die längste Partynacht vorbei und der Club zu. Wäre es nicht schön, wenn wir dann in der Morgensonne lachend am Kantstein sitzen, Nasenfalten vergleichen und dann so richtig einen losmachen? Platz dafür ist ja genug.